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Per Dekret
Melih Bulu soll Istanbuls wichtigste Universität auf AKP-Linie bringen
Melih Bulu ist ein Mann, der mit Zahlen umgehen kann. Als Doktor der Finanzwissenschaft hätte er sich ausrechnen können, was passieren würde, sollte er den Posten als neuer Rektor der Boğaziçi-Universität in Istanbul annehmen. Seit Montag protestieren die Studierenden gegen Bulus Ernennung. »Wir wollen keinen ernannten Rektor«, skandieren sie und wehren sich dagegen, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan höchstpersönlich den Leiter der Uni per Dekret eingesetzt hat. Damit beschneidet das türkische Staatsoberhaupt die Universitätsautonomie an empfindlicher Stelle. Die Boğaziçi (auf Deutsch: Bosporus) gilt als führende türkische Universität von internationalem Rang und sicherer Ort für freien akademischen Austausch in der heutigen Türkei. Sie war 1971 entstanden aus einer 1863 gegründeten US-amerikanischen Hochschule in Istanbul; die universitären Beziehungen in die USA sind weiterhin stark.
Melih Bulu wird von den Studierenden vor allem abgelehnt, weil er selbst in der Präsidentenpartei AKP aktiv ist. 2015 hatte er vergeblich versucht, ins Parlament einzuziehen. Seit dem Putschversuch 2016 haben die Hochschulen das Recht verloren, ihre Rektoren selbst auszuwählen; 2018 sicherte sich Erdogan dann die Prärogative, Rektoren an staatlichen Universitäten selbstherrlich einzusetzen. So schließen sich in der Türkei weitere demokratische Freiräume für politische Debatten. Student*innen und Dozent*innen der Boğaziçi ist das vollauf bewusst. Bei den Protesten an der Universität wurden bis zum gestrigen Tag 36 Menschen festgenommen. Die Hochschullehrer haben in einem offenen Brief gegen die Missachtung ihrer akademischen Autonomie protestiert. Das wird kaum etwas ändern: Die Polizei hat die Universität abgesperrt und erstickt jeden Protest. Der Finanzwissenschaftler Bulu wird jedoch an der Boğaziçi keinen leichten Job haben. Damit muss er rechnen.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
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