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Pfleger zurückhaltend beim Impfen

Dringende Appelle an medizinisches Personal, den Schutz vor Corona in Anspruch zu nehmen

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Impfstoffe gegen das Coronavirus sind in Rekordzeit entwickelt worden - ein riesiger Erfolg aus Sicht von Politikern und Wissenschaftlern. Doch wenn es ums Thema Impfen selbst geht, hält sich die Euphorie in Grenzen. Zurückhaltung gibt es offenbar auch beim medizinischen Personal, das zu den ersten Geimpften gehören soll. Die Gründe dafür sind vielfältig, und nicht immer steckt dahinter eine Skepsis gegenüber Vakzinen.

Die Impfbereitschaft sei beim Pflegepersonal sehr unterschiedlich, sagte Bernd Meurer, der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). »Wir haben Einrichtungen, wo sich fast 100 Prozent der Mitarbeiter impfen lassen. Und das reicht bis dahin, dass sich zwei Drittel nicht impfen lassen.« Es sei im Moment schwer, ein klares Bild zu zeichnen.

Dass medizinisches Personal bei Impfungen zurückhaltend reagiert, ist keine Besonderheit. Auch gegen die Grippe haben sich laut Robert Koch-Institut zuletzt nur gut 79 Prozent der Ärzte und knapp 47 Prozent der Pfleger impfen lassen. Gegen Corona wollten sich im Dezember in Deutschland rund 73 Prozent der Ärzte und knapp 50 Prozent der Pfleger in Deutschland impfen lassen. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Diese Zahlen seien aber schon längst überholt, sagte eine Sprecherin der Divi. »Wir sind da der Auffassung, dass sich da seit dem Impfstart einiges getan hat.«

Dass Zurückhaltung bleiben könnte, lässt jedoch ein Blick über den Atlantik vermuten: In der texanischen Großstadt Houston in den USA stellte ein Krankenhaus seinen Mitarbeitern eine Prämie von 500 Dollar in Aussicht - eine Voraussetzung dafür aber war eine Impfung gegen Corona. Medizinische Angestellte dürfen sich in Amerika als erstes impfen lassen. Berichten zufolge lehnten etwa bis zu ein Drittel von ihnen die Spritze bislang ab. Behörden befürchten eine schlechte Signalwirkung auf die übrige US-Bevölkerung. Das Forschungszentrum »PEW« veröffentlichte eine Erhebung aus dem November, wonach sich 39 Prozent der rund 330 Millionen Amerikaner »wahrscheinlich« oder »sicherlich« nicht impfen lassen wollten. Allerdings war diese Zahl schon einmal deutlich schlechter.

Die verhaltenen Zahlen stimmen auch in Deutschland nachdenklich, immerhin haben Ärzte und Pfleger eine Art Vorbildcharakter. Das medizinische Personal sei nachweislich der wichtigste Ansprechpartner für die Impfentscheidung, sagte die Betriebsärztin des Frankfurter Uniklinikums, Sabine Wicker, die auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist. »Ich sage immer, schlecht geimpfte Ärzte haben schlecht geimpfte Patienten. Denn wenn das medizinische Personal für sich selbst keine Impfindikation sieht, warum sollte es dann die Impfung den von ihm betreuten Patienten empfehlen?«

Dabei sind die Impfstoffe vielversprechend. Biontech/Pfizer gibt für seinen Impfstoff eine 95-prozentige Wirksamkeit an, ernste Nebenwirkungen sind selten. Auf eine ähnliche Quote kommt der am Mittwoch zugelassene Impfstoff des US-Herstellers Moderna. Über langfristige Risiken ist bisher nichts bekannt, aber die Experten halten auch die für gering. Das Risiko, an Corona schwer zu erkranken, könne man hingegen solide berechnen, sagte der Vorsitzende der Stiko, Thomas Mertens.

»Da gibt es viele Informationslücken oder falsche Informationen, die verbreitet werden«, sagte Mertens. Man dürfe nicht davon ausgehen, dass die Vorkenntnisse hinsichtlich eines mRNA-Impfstoffes beim medizinischen Personal im Durchschnitt so sehr viel besser sei als in der übrigen Bevölkerung, so Mertens. Dazu kämen möglicherweise auch unbewusste psychologische Effekte. Viele Menschen würden in Krankenhäusern ohnehin nicht unter optimalen Bedingungen arbeiten. Und wenn dann ein Arbeitgeber auch noch eine Impfempfehlung abgebe, »löst das vielleicht auch eine gewisse Gegenreaktion aus«, sagte Mertens.

Außerdem bringe eine Impfung gegen das Virus im Moment keine berufliche Erleichterung, sagte Bernd Meurer vom bpa. Die Pfleger müssten auch nach einer Immunisierung noch eine FFP2-Maske tragen. Grund ist unter anderem, dass noch nicht klar ist, ob man trotz der Impfung andere mit dem Coronavirus anstecken kann. »Wir gehen davon aus, dass die Impfbereitschaft erheblich stiege, würde von geimpften Personen keine Infektionsgefahr ausgehen, womit nach der Impfung berufliche Alltagserleichterungen für die Pflegekräfte einhergehen würden.«

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) appellierte an die Beschäftigten, sich impfen zu lassen. Pflegekräfte und Ärzte sollten dies aus »Verantwortung auch für diejenigen, die man pflegt und behandelt« tun, sagte Spahn. Eine Übersicht über die Impfbereitschaft in Pflegeeinrichtungen, der Altenpflege und bei Ärzten bei Corona gibt es laut Spahn noch nicht. In einigen Heimen ließen sich 80, in anderen nur 20 Prozent der Pflegekräfte impfen, wie er höre. Nach allem was er höre, sei die Impfbereitschaft in den Krankenhäusern bei all jenen hoch, die auf Intensivstationen sähen, »was Covid-19 anrichten kann«. dpa/nd

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