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  • Corona und wirtschaftliche Folgen

Ein blaues Auge für die Wirtschaft

Der zweite Lockdown trifft deutsche Unternehmen weniger hart als der erste im Frühjahr

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Bruttoinlandsprodukt fiel im vergangenen Jahr um fünf Prozent niedriger als im Vorjahr aus. »Damit endete eine zehnjährige Wachstumsphase«, betonte der Präsident des Statistischen Bundesamtes (Destatis), Georg Thiel, am Donnerstag auf einer virtuellen Pressekonferenz in Wiesbaden. Der konjunkturelle Einbruch war allerdings weniger stark als in der Finanz- und Wirtschaftskrise. 2009 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sogar um 5,7 Prozent gesunken.

»Letztlich fällt das Minus deutlich niedriger aus, als es im Verlauf des letzten Jahres von vielen Experten erwartet worden war«, zeigte sich das Bundeswirtschaftsministerium erleichtert. Der erste Lockdown im Frühjahr hatte zu einem geradezu historischen Einbruch des Bruttoinlandsproduktes im zweiten Vierteljahr um 9,8 Prozent geführt. Insgesamt war das preisbereinigte BIP im Jahr 2020 auf 3329 Milliarden Euro gefallen. Kalenderbereinigt betrug das Minus gegenüber 2019 sogar 5,3 Prozent.

Corona traf allerdings nicht alle Branchen gleich hart. Schon der »weiche« Lockdown im Frühjahr brachte Kultur, Reisebüros, Gastgewerbe, Luftfahrt und einen großen Teil des Einzelhandels sowie der Dienstleistungen zum Erliegen - während Onlinehandel, Logistikkonzerne und Luftfrachtunternehmen teils profitierten. Ein weiterer Bereich, der sich trotz aller Einschränkungen in der Krise behaupten konnte, war das Baugewerbe: Die preisbereinigte Bruttowertschöpfung nahm im Vorjahresvergleich laut dem Statistischen Bundesamt sogar um 1,4 Prozent zu.

Der »tiefen Rezession«, so Thiel, folgten weitere Negativrekorde. Nach acht Jahren mit Finanzierungsüberschüssen verzeichnete der Staat im Jahr 2020 erstmals wieder ein Finanzierungsdefizit. Es beträgt nach ersten Berechnungen 158,2 Milliarden Euro, nachdem der Staat im Jahr 2019 noch einen Überschuss in Höhe von 52,5 Milliarden Euro erzielt hatte. Es war das zweithöchste Defizit seit der deutschen Vereinigung, nur übertroffen vom Rekorddefizit des Jahres 1995, in dem die Schulden der Treuhandanstalt von umgerechnet 105 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt übernommen worden waren.

Corona beendete auch den über 14 Jahre anhaltenden Anstieg der Erwerbstätigkeit, der sogar die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 überdauert hatte. Die Wirtschaftsleistung wurde im vergangenen Jahr von durchschnittlich 44,8 Millionen Erwerbstätigen im Inland erbracht. Das waren 1,1 Prozent weniger als 2019. Besonders betroffen waren geringfügig Beschäftigte sowie Selbstständige, während die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten »stabil« blieb. Vor allem die erweiterten Regelungen zur Kurzarbeit haben nach Einschätzung der Statistiker Entlassungen verhindert.

Die Kurzarbeit führte allerdings zu einem Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf um 3,8 Prozent. Dennoch sank das Arbeitnehmereinkommen nur um 0,5 Prozent. Die Löhne der abhängig Beschäftigten sanken damit weit weniger als die Unternehmens- und Vermögenseinkommen, sagte Albert Braakmann, Chefvolkswirt von Destatis. Ein solcher Verlauf gilt unter Ökonomen freilich als typisch für Krisen. Außerdem sorgten die rasant steigenden Immobilienpreise und rekordhohe Aktienkurse dafür, dass 2020 der Wert der Vermögen deutlich zulegte.

Ungewöhnlich ist dagegen die Sparlust. Während in der Finanzkrise der private Konsum half, die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen, legten die Bundesbürger 2020 ihr Geld lieber auf die hohe Kante. Infolgedessen stieg die Sparquote der privaten Haushalte auf ein historisches Hoch von 16,3 Prozent (2019: 10,9). Die Experten des Statistischen Bundesamtes zeigten sich angesichts dieser gewaltigen potenziellen Kaufkraft freilich optimistisch, dass es nach dem Ende des Lockdown zu einer schnellen Erholung komme. »Wir wollen doch alle gerne wieder zum Friseur gehen, ins Konzert«, verriet Braakmann.

Ohnehin ist Deutschland im internationalen Vergleich glimpflich davongekommen. »Die gute finanzielle Situation des Staates aber vor allem auch die Widerstandskraft der Unternehmen und deren umsichtiges Pandemie-Management haben das Land vor Schlimmerem bewahrt«, lässt sich Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zitieren. So sank die Wirtschaftsleistung in den anderen großen EU-Staaten Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien zwischen 9,4 und 12,4 Prozent. Allerdings zeigen die vorläufigen Daten für die USA mit einem Minus von 4,6 Prozent und vor allem China mit einem Plus von 2,1 Prozent bessere Werte.

Aber auch für die deutsche Wirtschaft gibt es Grund zu verhaltenem Optimismus. Die Zahlen und »sehr unsicheren« Schätzungen für das vierte Quartal deuten darauf hin, so die amtlichen Statistiker, dass die Wirtschaftsleistung auf dem Niveau des dritten Quartals stagnierte. Unternehmen und Konsumenten seien auf den zweiten Lockdown besser vorbereitet gewesen. So verbuchte die Industrie im November - trotz Teillockdown - mehr Aufträge als vor Corona. Und der Konjunkturindikator des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zeigt trotz Verlängerung des Teillockdown grünes Licht für das laufende Vierteljahr.

Im Ergebnis erwarten Forschungsinstitute für dieses Jahr ein Wachstum zwischen 4,0 und 5,3 Prozent. Allerdings sind solche Prognosen mit Vorsicht zu genießen. Zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr hatten die Institute für 2020 ein Wachstum von bis zu 1,5 Prozent vorhergesagt. Ökonom Rudolf Hickel schlägt nun vor, »wegen der großen Unsicherheiten« bis auf weiteres auf Konjunkturvorhersagen zu verzichten.

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