Disput um Hamburgs neue Hauptsynagoge

Kritiker äußern Bedenken hinsichtlich »historisierender Rekonstruktion« des Gotteshauses

  • Reinhard Schwarz
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie soll die neu zu errichtende Synagoge auf dem früheren Bornplatz im Hamburger Grindelviertel aussehen – und wer entscheidet über die Neugestaltung? Um diese Frage dreht sich aktuell eine Debatte inner- und außerhalb der Hansestadt. Die jüdische Hauptsynagoge im Stadtteil Eimsbüttel wurde am 10. November 1938 von Nazis in Brand gesteckt, einen Tag später als im übrigen »Reich«. 1939 wurde die jüdische Gemeinde von den Nazibehörden gezwungen, die Ruine auf eigene Kosten abzutragen. Erst 1960 wurde eine neue Synagoge an der Hohen Weide im damals modernen Stil errichtet und eingeweiht, etwa zwei Kilometer von der ehemaligen Bornplatz-Synagoge entfernt.

1988 entstand auf deren Fläche ein Bodenmosaik der Künstlerin Margrit Kahl, das die Umrisse der alten Synagoge nachzeichnet. Damit wurde erstmals an das 1906 eingeweihte und im romanischen Stil erbaute Gotteshaus erinnert. Der Platz wurde nach Joseph Carlebach (1883-1942) benannt, dem letzten Rabbiner vor der Shoah.

Nach dem Angriff eines fanatischen Antisemiten auf die jüdische Synagoge in Halle 2019 entstand in Hamburg der Gedanke, die Bornplatz-Synagoge wieder zu errichten. In einer Entschließung vom Januar 2020 begrüßten die Bürgerschaftsfraktionen von SPD, CDU, Grünen, Linke und FDP den Wiederaufbau und sicherten ihre Unterstützung zu. Nachdem der Bund beschlossen hatte, für den Neubau 65 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, kündigte Hamburgs Senat an, denselben Betrag beizusteuern. Von daher stand einem Neubau finanziell offenbar nichts im Wege. Ende 2020 wurden öffentlich Zweifel geäußert, inwieweit eine Rekonstruktion der Synagoge dem Ziel – ein sichtbares Zeichen gegen den grassierenden Antisemitismus zu setzen – gerecht werden könne.

»Der historisierende Wiederaufbau der Großen Bornplatz-Synagoge scheint uns dagegen aus vielen Gründen nicht der richtige Weg zu sein«, heißt es in einer Erklärung, die unter anderem vom Bauhistoriker Prof. Gert Kähler und von Prof. Miriam Rürup unterzeichnet wurde. Rürup ist seit Dezember 2020 Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam und war acht Jahre Leiterin des Hamburger Instituts für die Geschichte der deutschen Juden. Das Projekt werde »mit öffentlichem Geld finanziert, also muss es auch eine öffentliche Diskussion geben«, so Rürup. Nicht der Wiederaufbau wurde kritisiert, sondern die Frage, ob faktisch ein Nachbau entstehen solle. An der »historisierenden Rekonstruktion der Bornplatz-Synagoge ist auf besondere Weise problematisch, dass dadurch das Resultat verbrecherischer Handlungen unsichtbar gemacht und die Erinnerung an diese Verbrechen erschwert wird«, heißt es.

Auch Überlebende der Shoah wie die Hamburger Autorin Peggy Parnass (93) und die Musikerin Ester Bejarano (96) äußerten ihre Zweifel im Rahmen einer Publikation des Auschwitz-Komitees. »Eine Synagoge, egal welche, fördert keinen Antisemitismus, löscht ihn aber auch nicht aus«, so Parnass. »Antisemitismus, den treffen wir überall. Sehr unangenehm. Um den Antisemitismus zu stoppen, müssen wir neue Wege gehen und immer und immer wieder miteinander reden, über alles nachdenken und richtig miteinander reden über das, was wir erreichen wollen.« Ester Bejarano erklärte: »Ich wünsche mir am Bornplatz, am Joseph-Carlebach-Platz, ein Haus der Begegnung für alle Menschen! Ein Haus, in dem über die Ursachen von Antisemitismus, über Lebensbedingungen heute, über Solidarität und Gerechtigkeit, über Umwelt und Bildung diskutiert wird. Ein Haus, in dem für Antisemitismus und Rassismus kein Platz ist.«

Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg, antwortete den Kritikern laut »Hamburger Abendblatt«: »Zu keinem Zeitpunkt haben wir oder die Initiative Wiederaufbau Bornplatz-Synagoge das Ziel kommuniziert, eine Kopie zu wünschen.« Im Rahmen des Wiederaufbaus »werden wir selbstverständlich auch aufzeigen, dass es einen Bruch gab und die Bornplatz-Synagoge nicht immer da war«. Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky erklärte laut »Jüdischer Allgemeinen«: »Die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Hamburg sind die Einzigen, die entscheiden können, was dort auf dem heutigen Joseph-Carlebach-Platz entsteht, weil sie die Bornplatz-Synagoge 1906 eingeweiht haben.« Eine Machbarkeitsstudie soll Klarheit über Aussehen und Funktion des neuen jüdischen Gotteshauses bringen.

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