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Entsetzen im Erfolg

So gut wie jetzt war der 1. FC Union noch nie - Corona zerstört einiges wieder.

Wenn die Fußballer des 1. FC Union an diesem Sonnabend gegen Borussia Mönchengladbach spielen, kann man sich gut vorstellen, wie die Fans des Berliner Bundesligisten diese 90 Minuten des 19. Spieltags verbringen: sitzend, mehrheitlich wohl auf der heimischen Couch, und mitfiebernd. Ein normales Bild in Zeiten leerer Stadien.

Stehen, den rot-weißen Schal in den Händen und singen - dieses gemeinschaftliche Erlebnis vermissen viele seit Monaten. Dieses Bild könnte es aber am Mittwochabend in Köpenicker Wohnzimmern gegeben haben: Coronabedingt hielt der Verein seine Mitgliederversammlung erstmals virtuell ab. Als sich um 19 Uhr der Stream öffnete, erklang die Hymne. Und sicherlich haben dabei einige der 3800 online angemeldeten Mitglieder das Ritual gepflegt: stehen und mitsingen, samt Schal.

Einer fehlte. Präsident Dirk Zingler musste aus »dringenden persönlichen Gründen«, wie Pressechef Christian Arbeit informierte, fernbleiben. Also führte größtenteils Geschäftsführer Oskar Kosche durch die Veranstaltung. Als Mann der Zahlen bei Union war der ehemalige Torwart dafür keine schlechte Alternative. Gleichzeitig war er damit aber auch der Überbringer schlechter Nachrichten. Ein Satz sorgte mit Sicherheit für großes Entsetzen: »Die Arbeit von zehn Jahren ist innerhalb von drei Monaten vernichtet worden.« Kosche beschrieb damit die Entwicklung des finanzsprachlich »negativen Eigenkapitals«. Im Sommer 2010, zum Ende der ersten Zweitligasaison nach dem Wiederaufstieg, hatte der 1. FC Union ein Minus von 16 Millionen Euro zu stehen. Neun Jahre später, nach dem ersten Klassenerhalt in der Bundesliga, waren es 9 Millionen. Zum Ende der vergangenen Saison war das Minus wieder auf 17 Millionen Euro gewachsen.

Das Ergebnis dieser erschreckenden Bilanz ist dem Sonderspielbetrieb geschuldet, mehr lässt das Virus im gesamten Fußball - wenn überhaupt - immer noch nicht zu. Die Präsentation der Zahlen zur ersten Bundesligaspielzeit des Vereins wurde dann auch in zwei Teile gegliedert: Spieltag 1 bis 25 ohne Corona - und die Zeit danach. Saisonübergreifend beliefen sich die Verluste durch Corona bis zum Ende des vergangenen Jahres auf 12,4 Millionen Euro - durch ausgefallene Veranstaltungen, weniger Fernseheinnahmen oder, mit 7 Millionen der größte Faktor, die Spieltag für Spieltag leere Alte Försterei.

Um einem Aufschrei der Angst vorzubeugen, erklärte Kosche zugleich, dass diese Entwicklung »nicht existenzbedrohend für den Verein« sei. Weil »die stillen Reserven des Vereins größer als das negative Eigenkapital sind«, wie er im vorangegangenen Pressegespräch am Mittwochvormittag erklärt hatte. Um keine Langeweile zwischen dem trockenen Zahlenwerk aufkommen zu lassen, dafür etwas gute Laune, liefen immer wieder kleine Einspieler über den Bildschirm. Platz elf mit 30 Punkten nach 25 Spieltagen, Viertelfinale im DFB-Pokal: Wie diese Bilanz vermuten lässt, wurde in diesem filmischen Teil viel gejubelt. Aktuell steht Union auf Tabellenplatz acht mit 28 Punkten nach 18 Spieltagen - der Vergleich zur Vorsaison zeigt die sportliche Entwicklung im zweiten Bundesligajahr. Sie trägt wegen nicht vorhersehbarer und nicht geplanter Mehreinnahmen auch dazu bei, dass die Krise keine allzu schwerwiegenden Konsequenzen für den Klub hat.

Glücklicherweise traf und trifft laut Kosche »die Pandemie den Verein in seiner bislang wirtschaftlich stabilsten Situation«. Die Basis dafür sei der sportliche Erfolg. Deshalb bildete die Lizenzspielerabteilung mit knapp 33 Millionen Euro den mit Abstand größten Posten im Etat der vergangenen Saison. Dort steht letztlich bei Einnahmen von rund 70 Millionen und Ausgaben von knapp 78 Millionen ein Verlust von 7,45 Millionen Euro.

Gewachsen ist die Zahl der Mitglieder - auf 37 417. Viele derer, die an der Versammlung teilnahmen, hatten Fragen. Beispielsweise zum Stadionausbau auf dann 37 000 Zuschauerplätze. Der Verein geht davon aus, die Baugenehmigung im Sommer 2022 zu erhalten, drei Jahre später als ursprünglich geplant. Ob künftig mehr in den Frauenfußball investiert werde, um in die Bundesliga aufzusteigen, wollte ein Mitglied wissen. »Nein, das ist nicht geplant«, sagte Kosche. Priorität hat das Profiteam der Männer. Welche Coronahilfen der Verein bekommen habe, lautete eine andere Frage. Die Antwort: Kurzarbeitergeld und einen KfW-Kredit.

Das Geld der Kreditanstalt für Wiederaufbau hatte die Stadionbetriebs-AG beantragt und bewilligt bekommen. Der »Hauptmieter«, wie auf ihrer Hauptversammlung am Dienstagabend der 1. FC Union bezeichnet wurde, profitiert davon jedoch durch eine Mietminderung. Wie Kosche am Mittwochvormittag näher erläuterte, befänden sich derzeit mehrheitlich die Mitarbeiter der Veranstaltungs-AG und einige der Stadionbetriebs-AG sowie die komplette Nachwuchsabteilung in Kurzarbeit, um die Auswirkungen der Coronakrise zu mindern. »Das Beste, was die Profis machen können, ist erfolgreich Fußball zu spielen«, antwortete Oskar Kosche auf die Frage nach einem Gehaltsverzicht. Den gibt es nicht, Gespräche darüber derzeit auch nicht.

Dass der sportliche Erfolg bei Union über allem steht, muss nicht immer Positives bewirken. Ein anderes Beispiel dafür: Am Donnerstag gab der Verein den Abschied von Christopher Lenz bekannt. Der 26-jährige gebürtige Berliner hat sich zu einem der besten Linksverteidiger der Liga entwickelt. Im Sommer wechselt er zu Eintracht Frankfurt.

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