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Mehr Dampf bei der S-Bahn

Eisenbahnexperte fordert vom Senat größeres Augenmerk für Infrastruktur

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Für die Ertüchtigung des S-Bahnnetzes stehen die Signale noch auf rot.
Für die Ertüchtigung des S-Bahnnetzes stehen die Signale noch auf rot.

»Wer bringt denn das System S-Bahn voran, wer sagt den Ländern, welche Infrastruktur zusätzlich gebraucht wird, wenn es drei unterschiedliche Betreiber für die Einsatzplanung und die Disposition bei Unregelmäßigkeiten, drei unterschiedliche Unternehmen gibt, die Züge mit Personal besetzen und vielleicht noch drei Firmen, die die Fahrzeugen reinigen und täglichen warten?«, fragt sorgenvoll Michael Wesseli.

Noch zu Reichsbahnzeiten war er lange der Hauptingenieur für Investitionen bei der Berliner S-Bahn, bis 1993 dann Abteilungsleiter Betrieb, bevor er später bei der Deutschen Bahn für andere Infrastrukturprojekte zuständig war.

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Seine Sorge bezieht sich vor allem auf die Infrastruktur: Gleise, Weichen, Signale. »Von 335 Kilometern Streckennetz sind im Berliner Netz über 80 Kilometer eingleisig. In Hamburg sind von rund 145 Kilometer Netz knapp neun Kilometer eingleisig«, sagt Wesseli. Zwar stellt das Infrastrukturprojekt i2030 zweigleisige Ausbauten nach Bernau, Königs Wusterhausen, Oranienburg und Richtung Hennigsdorf in Aussicht. Doch laut einem Papier der Berliner Senatsverkehrsverwaltung für den Hauptausschuss ist eine Realisierung nicht vor den 2030er Jahren angedacht.

»Ich bin fast umgefallen, als ich den Zeitplan erfahren habe«, erklärt der Eisenbahningenieur. »Damit schiebt man die Verantwortung für die Weiterentwicklung des Netzes auf die nächste Generation.« Wie schon bisher des öfteren wird an mancherorts die künftige Anlage eines zweiten Gleises aktiv verbaut. »An der S2 in Buch ist bei einem Brückenbau über den Pölnitzweg die Vorleistung für ein zweites Gleis gestrichen worden«, berichtet Wesseli. »Denn das Eisenbahn-Bundesamt finanziert der Deutschen Bahn keine Vorsorgemaßnahmen, auch wenn sie das nachträgliche Bauen erleichtern würden.« Solange das bestehende Angebot gefahren werden kann und die Länder die Mehrkosten nicht übernehmen, geschieht das reihenweise. Ebenso am Südast der S2. »Zwischen Lichtenrade und Blankenfelde wird die Lärmschutzwand auf der Fläche des zweiten Gleises errichtet«, so Wesseli. »Dagegen hat die Bürgerinitiative Bisar schon vor zehn Jahren protestiert.«

Eingleisige Strecken bedeuten nicht nur, dass die Züge oft nur alle 20 statt alle 10 Minuten fahren können. Sie machen auch das Gesamtsystem unzuverlässiger. »Ein Drittel der Verspätungsminuten sind Folgeverspätungen, oft wegen Eingleisigkeiten. Das ist eine Kette, die meistens erst nach Stunden abgebaut werden kann«, sagt Wesseli.

Auf der Ringbahn fehlen vor allem zusätzliche Bahnsteige, damit verspätete Züge herausgenommen werden können und nicht den gesamten Verkehr aus dem Takt bringen. »Als der Südring 1993 wieder in Betrieb genommen wurde, hat man uns gefragt, ob man zunächst am Bahnhof Halensee auf den zweiten Bahnsteig verzichten kann, um die Betriebsaufnahme zu beschleunigen. Höchstens zwei Jahre später solle er in Betrieb gehen, wurde mir in die Hand versprochen«, berichtet der Ingenieur. Bis heute fehlt er. Ebenso in Westend, obwohl die die Aufgabenstellung für die Planung und den Bau des dritten Bahnsteiggleises

2007 abgeschlossen gewesen sei.

Wie viele Kenner des Bahnsystems zweifelt auch Wesseli am Senatskonzept für die Ausschreibung der Nord-Süd- und Stadtbahnlinien der S-Bahn. Der Abgabetermin für die Teilnahmeanträge ist bereits zum zweiten Mal verschoben worden - nun auf den 11. Februar. »Für das Streckennetz zahlen alle gleich, Einsparungen kann es also eigentlich nur bei der Fahrzeugwartung und beim Personal geben«, sagt er. Konkurrenten der Bahntochter S-Bahn Berlin GmbH müssten allerdings erst einmal an ausreichend qualifizierte Lokführer, Disponenten und viele weitere Experten kommen. »Was folgt aus einer möglichen Aufteilung auf verschiedene Betreiber? Bleibt der Zug einfach stehen, wenn er eine Störung hat, weil er nicht auf die Strecke des Konkurrenten abgeleitet werden kann, weil der Lokführer sich dort nicht auskennt?«, ist eine der Fragen, die sich die Kritiker stellen.

Sollten Konkurrenten der Bahn zum Zug kommen, müssten sie auch eigene Werkstattkapazitäten aufbauen. »Es geht schon damit los, dass ich es für sehr unwahrscheinlich halte, dass die Planung rechtzeitig fertig ist. Auch der nötige Ausbau der Zulaufstrecken, zum Beispiel von Wartenberg über Sellheimbrücke nach Buchholz oder ein zweites S-Bahn-Gleis von Hoppegarten nach Fredersdorf sei kaum rechtzeitig bis 2027 zu schaffen. Zumal die S-Bahn in den letzten Jahren mehrere Millionen Euro in die Wartungsinfrastruktur gesteckt habe, die dann möglicherweise nur teilweise oder gar nicht mehr genutzt würde«, sagt Michael Wesseli.

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