Privilegien für Geimpfte?

Der Konzertveranstalter und Tickethändler CTS Eventim treibt eine neue Klassengesellschaft voran

  • Berthold Seliger
  • Lesedauer: 3 Min.

Sollen Menschen, die eine Corona-Impfung erhalten haben, privilegiert werden und beispielsweise bevorzugt Konzerte besuchen dürfen? Deutschlands größter Konzertveranstalter und Tickethändler, der CTS Eventim-Konzern, hat zur Unzeit eine unsinnige Debatte vom Zaun gebrochen. CTS Eventim setzt sich dafür ein, dass Veranstalter*innen die Teilnahme an Konzerten künftig von einer Corona-Impfung abhängig machen können.

Die Motivation ist allzu durchsichtig: CTS Eventim (Jahresgewinn/EBITDA 2019: gut 284 Millionen Euro) geht es darum, möglichst rasch wieder Großkonzerte und Festivals veranstalten zu dürfen und vor allem die hohen Profite durch Ticketverkäufe einstreichen zu können. Die EBITDA-Marge (Geldfluss vor Steuern und Abschreibungen) im Ticketverkauf liegt bei über 45 Prozent (im Vergleich zu eher mageren 4 bis knapp 7 Prozent im Konzertgeschäft).

Bei der Frage nach Privilegien für Geimpfte gibt es eine ethische und eine gesundheitspolitische Ebene. Moralisch darf es als problematisch, wenn nicht sogar als völlig abwegig gelten, dass Geimpften Vorteile aus der Corona-Impfung erwachsen - jedenfalls, solange sich nicht alle Menschen impfen lassen konnten, was wohl frühestens im vierten Quartal 2021 der Fall sein dürfte.

Kultur sollte grundsätzlich möglichst allen Menschen zur Verfügung stehen. Die Teilnahme an Konzerten und anderen kulturellen Veranstaltungen muss also im Idealfall allen Menschen gleichberechtigt möglich sein. Besonders in der Realität der Großkonzerte unserer Tage besteht bereits das Problem einer kulturellen »Segregation«: Anders als in der Praxis vergangener Jahrzehnte, als es auch bei Stadionkonzerten Einheitspreise für alle gab, sind die Eintrittspreise heute gestaffelt: Wer wohlhabend ist, darf vorne stehen oder sitzen, wer wenig Geld hat, muss mit den schlechtesten Plätzen vorliebnehmen.

Zum Beispiel die Konzerte der Rolling Stones: In den 1980er Jahren gab es einen einheitlichen Ticketpreis im ganzen Stadion, vorne standen diejenigen, die beim Einlass am längsten gewartet haben. Heute reichen die Preise von knapp 200 bis über 1000 Euro, vorne sind die mit der größten Brieftasche, wer dagegen »nur« 200 Euro übrig hat, muss hinten im Stadion stehen, bei den mobilen Toilettenanlagen. Bei Großkonzerten hat sich längst eine neue Klassengesellschaft herausgebildet. Die Corona-Impfung darf nicht zu einer neuen oder weiter verschärften Trennung des Publikums führen in Privilegierte und Leute, die leider draußen bleiben müssen.

Hinzu kommt das gesundheitspolitische Problem: Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Virus beziehungsweise seine Mutationen durch Geimpfte weiterverbreitet wird, wären Großveranstaltungen mit Geimpften ein idealer Brutkasten für die Verbreitung von Escape-Varianten des Covid-19-Virus (etwa für die südafrikanische oder die brasilianische Variante).

Das mag Großkonzernen mit ihren Profitinteressen eher egal sein, aber für Menschen mit einer Haltung, die eine gesellschaftliche Verantwortung ihres Tuns ernstnehmen, steht eine Position, bei der der Kommerz wichtiger ist als die Gesundheit der Menschen, nicht zur Debatte.

CTS Eventim hat die falsche Frage aufgeworfen, und das zur falschen Zeit. Verantwortungsvolle Konzertveranstalter*innen, Clubs und Konzertstätten bemühen sich seit Monaten um wirksame Maßnahmen zum Schutz des Publikums: Effiziente Belüftungsanlagen und belastbare Hygienekonzepte sind das A und O für den Neustart des Konzertbetriebs, sobald die Corona-Entwicklung, beispielsweise sinkende Inzidenzwerte, das zulassen. Wichtige Studien wie etwa »Restart-19« der Universitätsmedizin Halle (Saale) geben wertvolle Hinweise, wie dann auch Hallen- und Clubkonzerte wieder abgewickelt werden können, mit zunächst reduzierten (aber nicht pauschal, sondern mit prozentual gedeckelten) Kapazitäten, mit Sitzplätzen im Schachbrett-/Rautenmuster, mit verpflichtenden FFP2-Masken, Hygiene-Stewards und verbesserten Einlassregelungen, bei denen nur wenige Menschen länger in Kontakt zueinanderkommen.

Populistische Forderungen, wie sie der CTS Eventim-Konzern aufgestellt hat, helfen der Konzertbranche nicht weiter. Vielmehr kommt es auf konstruktive und praktikable Regelungen an, wie ein Neustart der Konzerte unter Berücksichtigung der Gesundheit aller Konzertbesucher:innen gelingen kann.

Berthold Seliger ist Autor und Konzertveranstalter aus Berlin

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