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  • Corona und soziale Folgen

Hürden für Helfer aus dem Ausland

Sachsen will Einschränkungen für Berufspendler aus Tschechien / DGB fordert Hilfe für Grenzgänger

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.

Markus Blume hält die Schuldfrage für geklärt. Für die Verbreitung des Coronavirus seien »nicht Friseure gefährlich, sondern die Grenze«, sagte der CSU-Generalsekretär dieser Tage der »Bild am Sonntag«. Er beklagte eine »unverantwortliche Öffnungspolitik« in den an Bayern grenzenden Nachbarländern Österreich und Tschechien. Sollten sich dort mutierte Varianten des Virus ausbreiten, »muss man die Grenzen abriegeln«.

Der CSU-Mann habe sich »eine schön einfache Erklärung« zurechtgelegt, erwidert der sächsische DGB-Landeschef Markus Schlimbach – die allerdings, so stehe zu befürchten, Zuspruch finden könnte: »Grenzgänger sind schnell zu Sündenböcken gemacht.« Die Debatte gab es während der ersten Welle von Covid-19 im Frühjahr; sie mündete in einer wochenlangen Schließung der Grenze zwischen der Bundesrepublik und Tschechien. Jetzt flammt sie angesichts sehr hoher Fallzahlen im Nachbarland wieder auf und setzt vor allem Arbeitskräfte, die über die Grenze pendeln, stark unter Druck. Der grenzübergreifende Arbeitsmarkt, klagt Schlimbach, drohe irreparablen Schaden zu nehmen.

Sachsen ist auf Arbeitskräfte aus Polen und Tschechien dringend angewiesen. Es sei, sagte CDU-Regierungschef Michael Kretschmer, »allgemein bekannt«, dass man etwa ohne die Ärzte und Krankenpflegerinnen aus Tschechien das Gesundheitssystem »nicht aufrechterhalten« könnte. Ähnliches gilt für den Pflegebereich. Als im Frühjahr das Pendeln unmöglich war, lobte die Landesregierung Zuschüsse für Übernachtungen in Pensionen aus, damit ausländische Arbeitnehmer ihre Jobs weiter erledigen konnten. Jetzt hat man das Programm erneut aufgelegt.

Es sind aber nicht nur Kliniken, Arztpraxen und Pflegedienste, die ein Ausbleiben der Pendler in Schwierigkeiten brächte. Von etwa 11 000 Tschechen und fast 20 000 Polen, die in Sachsen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, arbeiten 621 (5,6 Prozent) bzw. 352 (1,8 Prozent) im Gesundheitswesen. Dagegen ist ein Fünftel bzw. ein Viertel im verarbeitenden Gewerbe tätig, weitere in Branchen wie Verkehr, Logistik, Bauwesen und im Gastgewerbe. Die Arbeitnehmer von jenseits der Grenze helfen einerseits, verbreiteten Personalmangel zu lindern. Andererseits gelten sie als billige Arbeitskräfte. Obwohl die Löhne in Sachsen ohnehin schon unter dem bundesdeutschen Durchschnitt liegen, verdienen die Polen und Tschechen noch weniger, sagt Anna Bernstorf, die beim DGB für Europäische Regionalpolitik zuständig ist. Mehr als drei Viertel arbeiten im Niedriglohnbereich. Der Anteil, sagt Bernstorf, »ist dramatisch hoch«.

Umso problematischer ist, dass vielen nun noch höhere Kosten durch das Pendeln entstehen. Gut 9000 Tschechen und fast 10 500 Polen sind »Grenzgänger«; sie queren täglich oder wöchentlich die Grenze. Das geht derzeit nur, wenn sie negative Tests auf Covid-19 vorlegen: Polen einmal je Woche, Tschechen zweimal. Das Land ist als Hochrisikogebiet eingestuft; die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 472. Tests sollen Infektionsketten unterbinden. Der DGB zweifelt am Sinn. Ihr seien »keine Corona-Ausbrüche in Unternehmen bekannt, schon gar nicht bei Grenzgängern«, sagt Bernstorf. Umso unverständlicher sei es, dass die Pendler auf den Kosten sitzenblieben. Nur wenn Tests vom Arbeitgeber organisiert werden, beteiligt sich der Freistaat mit je zehn Euro. Generell stelle die Testpflicht eine »Ungleichbehandlung« dar: »Kollegen, die längere Anfahrtswege haben, aber dabei keine Grenze queren, brauchen keine Tests«, sagt Bernstorf. »Das sorgt für ein Gefühl, Arbeitnehmer zweiter Klasse zu sein.« Noch schwieriger wird die Lage, wenn ein Test in Tschechien erfolgt, wo er kostenlos ist, und positiv ausfällt. Dann stehen Pendler ohne Einnahmen da. Sie zahlen zwar in Deutschland in die Sozialversicherung ein. Weil jedoch bei Quarantäne das Infektionsschutzgesetz greift, erhalten Grenzgänger weder im Heimatland noch am Arbeitsort Geld.

Jetzt spitzt sich die Lage weiter zu. Weil in einigen Regionen Inzidenzwerte über 1100 zu verzeichnen sind und mutierte Varianten des Virus grassieren, riegelt Tschechien drei grenznahe Bezirke ab. Sachsen reagiert und kündigt eine »deutliche Einschränkung« des Pendlerverkehrs an. Es sei »dringend erforderlich«, Hotspots abzuschotten, auch wenn das eine »bedauerliche Entwicklung« sei, erklärte Kretschmer. Ausnahmen soll es nur für Arbeitskräfte in Medizin und Pflege geben. Sie bräuchten jetzt einen täglichen Test.

Der DGB warnt angesichts dessen, Grenzgänger würden »in ihrer Existenz bedroht«. Wer sie nicht zur Arbeit lasse, müsse dafür sorgen, »dass sie nicht ohne Entgelt dastehen«, fordert Schlimbach. Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt sagte, man müsse angesichts der Infektionslage in Tschechien »vorsichtig sein«. Für Pendler wie für den Warenverkehr müsse die Grenze aber offenbleiben. Das gehe »nur mit einem sehr strengen Testregime«. Sorgen bereiten ihm noch eine andere Art Pendler. Der Tank- und Einkaufstourismus ist offiziell seit November ausgesetzt, läuft aber teils weiter. Mit mehr Kontrollen müsse er tatsächlich unterbunden werden.

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