Please enjoy this cake!

Spaß und Verantwortung

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor einigen Monaten wurde mein internationaler Masterstudiengang für Contemporary Art einer Evaluation unterzogen. Keiner wusste genau, wer oder was dabei auf welche Art beurteilt werden sollte, aber es schien so, als hätten wir Studierende Einfluss auf das Ge- oder Misslingen dieser Prüfung.

Die Stimmung im Gebäude war seltsam unausgelassen - allerdings so sehr oder so wenig, dass niemand Anlass gehabt hätte, es zu problematisieren. Alle saßen in ihren Ateliers und verhielten sich angestrengt geschäftig, fast so, als ob sie sich plötzlich ihrer eigenen Performance als Kunststudent*innen bewusst geworden wären und versuchten, ihre Position zu legitimieren. Ab und zu wurden sogenannte Course Council Meetings einberufen, um jene voranschreitende Evaluation zu evaluieren. Manchmal bekamen wir E-Mails, in denen wir dazu aufgefordert wurden, an bestimmten Tagen die Flure besonders sauber zu halten. Zwei Mal kam uns ein sehr großer Mann besuchen, der davon sprach, dass Gelder gekürzt worden seien, und einmal gab es eine Art Konferenz mit einem Mann im Anzug, dessen Gesicht alle schon kannten, weil er auf dem Kaffeeautomaten abgebildet war.

Meine lebendigste Erinnerung an die Zeit des ominösen »Bewertetwerdens« ist, dass zwei Tage lang junge Männer in grauen Arbeitsuniformen im Flur saßen und mit einer Zählmaschine erfassten, wie viele Menschen sich zufällig gerade in welchem Raum befanden. Es gab das Gerücht, dass es positiven Einfluss hätte, wenn die Anzahl der Anwesenden möglichst ausgewogen wäre, also fingen wir Studierenden an, grundlos die Räume zu wechseln - die Geschäftigkeit unseres Künstler*innenlebens illustrierend. Das Hin- und Herlaufen machte irgendwie Spaß, gleichzeitig führte es dazu, dass die jungen Männer auf den Fluren bei ihrer todlangweiligen Aktivität beschäftigt blieben. Es war ohnehin offensichtlich, dass es viel zu viele Räume für nur eine Handvoll Studierende gab.

Nach ein paar ominös angespannten Monaten bekamen wir eine Mail der Studiengangleiterin, die die freudige Nachricht enthielt, dass wir die Prüfung mit der Note »GOOD« bestanden hätten. Die Note »GOOD« als freudige Nachricht zu überbringen, war, wie wir wussten, ein Euphemismus, denn da es auch noch die Prädikate »VERY GOOD« und »EXCELLENT« gibt, liegt sie gerade mal im Mittelfeld. Dennoch wurden wir von der Hochschule, die als Trägerinstitution des Studienganges fungiert, mit einem Kuchen belohnt. Dieser Kuchen, so stand es in der E-Mail, sollte uns in den nächsten Tagen von der Hochschule zugeschickt werden.

Aus dieser Information ergab sich die Frage der Terminfindung: Alle Studierenden sollten beim Eintreffen des Kuchens anwesend sein, damit alle gemeinsam den Kuchen in Empfang nehmen und essen könnten. Außerdem wurde jemand gesucht, der das gemeinsame Kuchenessen fotografisch dokumentieren könnte. Am Ende des Absatzes stand in Versalien die im Imperativ formulierte Bitte: »PLEASE ENJOY THIS CAKE«. Diese von der Studiengangleiterin formulierte Aufforderung zum Genuss hatte etwas leicht Aggressives, das wahrscheinlich der Tatsache geschuldet war, dass es aufgrund der mediokren Bewertung zu einer Budgetkürzung des Studienganges gekommen war - der Kuchen war keine feierliche Geste, sondern in Wirklichkeit ein Trostpflaster.

Dieser Mail folgten viele weitere Mails - Studierende machten positive Kommentare zu der positiven Bewertung des Studienganges als einer gemeinsam erbrachten Leistung und listeten verschiedene Termine auf, zu denen sie Zeit hätten, den Kuchen zu verzehren. Als etwa ein Dutzend dieser Mails eingegangen war, kam eine weitere passiv-aggressive Mail der Studiengangleiterin zurück, dass sie aufgrund der komplizierten Bedürfnisse der Einzelnen nun ein Doodle-Dokument einrichten würde, in dem sich alle Studierenden eintragen sollten, wann für sie der Kuchenverzehr passend oder unpassend wäre. Ob eine solche feierliche Zusammenkunft jemals stattgefunden hat, weiß ich nicht, denn die fotografische Dokumentation hat mich, zum Glück, nicht erreicht.

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