Versperrte Wege übers Land
In Sachsen wehrt sich ein Verein dagegen, dass rund 10 000 Kilometer öffentlich nutzbare Wege demnächst privatisiert werden könnten
Wandersteige im Gebirge, Feldwege, auf denen Bauern ihre Äcker erreichen; Pfade zwischen Häusern in der Stadt: Deutschland ist von vielen Wegen durchzogen, die über privaten Grund führen, aber von jedermann genutzt werden können. In Sachsen könnte damit ab 2022 vielerorts Schluss sein. Viele jetzt öffentlich zugängliche Wege drohen privatisiert zu werden, warnt der Verein »Sachsens Wege«. Bauern könnten vor Sperrschildern stehen, Wanderer vor Zäunen. Die »Durchlässigkeit der Landschaft«, sagt der Vereinssprecher Ivo Partschenfeld, »ginge verloren«.
Hintergrund ist eine Änderung des Sächsischen Straßengesetzes, die der Landtag im Jahr 2019 beschloss. Bisher galten alle Straßen, Wege und Plätze, die öffentlich genutzt wurden, auch als öffentlich. Jeder konnte sie begehen und teils auch befahren; die Kommunen mussten sich um Unterhalt und Verkehrssicherung kümmern. Künftig soll sich das ändern. Nur Wege, die ausdrücklich in Bestandsverzeichnissen der Kommunen aufgeführt sind, behalten den Status; all jene, die nicht bis Ende 2022 dort aufgenommen wurden, »verlieren den Status als öffentliche Straße«, heißt es im Paragraf 54 des Gesetzes. Eine entsprechende Eintragung hätten Personen mit »berechtigtem Interesse« bereits bis Ende 2020 beantragen müssen.
Zwar sind privatisierte Wege etwa für Wanderer nicht sofort gesperrt, stellt Partschenfeld klar. In Deutschland gelte ein »allgemeines Betretungsrecht« in Wald und Flur. Allerdings könnten Privatbesitzer, die sich an dem Verkehr stören, diesen behindern. So sei denkbar, dass Wege umgepflügt würden. Für Landwirte könnten Durchfahrten gesperrt werden, kommunale Baumaßnahmen müssten nicht geduldet werden. Der Ausbau des Rad- oder Wanderwegenetzes könne so an einzelnen Grundeigentümer scheitern; jeder Grundstücksverkauf oder Erbfall könnte zu Problemen führen. Bauern müssten gegebenenfalls »Notwegerechte« zu ihren Feldern einklagen, was zu langwierigen juristischen Auseinandersetzungen führen könne.
Nach Einschätzung des Vereins handelt es sich um kein kleines Problem. Mindestens 10 000 Kilometer Wege stehen nach Angaben von Partschenfeld bisher nicht in örtlichen Verzeichnissen und würden damit in 22 Monaten automatisch zu Privatwegen. Prüfen lässt sich das für potenziell Betroffene oft nur schwer. Die Wegeregister, die Kommunen in den 1990er Jahren anlegten, seien vielfach bisher nicht digitalisiert und allgemein einsehbar; teils bestünden sie nur aus Karteikarten sowie veralteten Übersichtsplänen und seien nicht auf dem aktuellen Stand.
Partschenfeld und seine Mitstreiter halten es prinzipiell für richtig, den öffentlichen Charakter von Wegen explizit durch die Aufnahme in entsprechende Verzeichnisse zu regeln: »Das gibt für die Zukunft ja auch Sicherheit.« Für problematisch halten sie den im Gesetz vorgesehenen Automatismus. Der Verein regt an, die Kommunen zu einer digitalen Erfassung der Wegedaten sowie dazu zu verpflichten, sie öffentlich einsehbar zu machen. Um das Interesse der Gemeinden an öffentlichen Wegen zu erhöhen, solle zudem das Land Geld für ihren Unterhalt bereit stellen; vorgeschlagen werden 500 Euro je Kilometer und Jahr. Zugleich wirbt der Verein bei Bürgern und Verbänden dafür, vor Ort den Status von Wegen zu prüfen und gegebenenfalls öffentlichen Bedarf anzumelden. Eine Karte auf der Internetseite des Vereins zeigt den aktuellen Stand für die Wege, zu denen dem Verein Informationen vorliegen.
Vor allem Landwirte und deren regionale Verbände seien mittlerweile sehr aktiv, sagt Partschenfeld. Auch in der Landespolitik gibt es erste Reaktionen. Die Linke fordert in einem im Dezember eingebrachten Gesetzesentwurf, die 2019 beschlossenen Fristen zu streichen, nicht zuletzt, weil »nur unzureichend« auf deren Bedeutung »hingewiesen worden sei«. In der Begründung ist von gravierenden Folgen für den Wander-, Rad- und Reittourismus sowie Land- und Forstwirtschaft die Rede. Antje Feiks, Fachpolitikerin für ländliche Räume, sieht aber auch prinzipielle Gründe: »Bei Krankenhäusern oder kommunalen Wohnungen werden Privatisierungen zurecht stark kritisiert«, sagt sie: »Aber hier ist der Aufschrei zu Unrecht bislang ausgeblieben.«
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