Nachbesserung auf Minimalniveau

Das vor dem Verfassungsgericht gescheiterte BND-Gesetz muss bis Jahresende überarbeitet sein

Der neuerliche Nachbesserungsversuch am Gesetz für den Bundesnachrichtendienst (BND) fiel in einer öffentlichen Anhörung im Bundestag am Montag bei den Expert*innen durch. Der neue Entwurf »macht vieles besser, aber besser ist noch nicht gut«, kritisiert Nora Markard von der Universität Münster, wo sie als Völker- und Verfassungsrechtlerin arbeitet. »Die anlasslose Massenüberwachung des BND im Ausland, vom Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 kassiert, lebt in neuem Gewand munter fort statt abgestellt zu werden«, fasst André Hahn, der für die Linksfraktion im Parlamentarischen Kontrollgremium PKGr die Arbeit der Geheimdienste kontrollieren soll, den Tag zusammen. Mit Regelwerken wie dem neuen BND-Gesetz wird er genau davon abgehalten.

Die Bundesregierung ist dabei kreativ und erfindet zusammen mit dem BND immer neue Definitionen und Anwendungsgebiete. Ein Kniff: Der BND sei nur an Daten interessiert, aber überwache gar keine Menschen. Das zumindest steckt in der gesetzliche Fiktion zur Aufhebung des Personenbezugs von Daten. Konkret geht es um Onlinebanking und -zahlungen, Hotelbuchungen, GPS- und Bewegungsdaten von Mobilfunkgeräten, die künftig anlasslos überwacht werden könnten und täglich massenhaft anfallen. Die Zeiten, in denen ein Geheimdienst die Nadel im Heuhaufen suchen musste, sind lange vorbei. »Lasst uns den Heuhaufen einsammeln!«, so wird der ehemalige Direktor der National Security Agency (NSA) in den USA, Keith Alexander, zitiert. Den Heuhaufen will auch der BND einsammeln.

Mehrere Expert*innen erteilen dem eine Absage. »Eine solch breite und öffentliche Debatte mit fundierten Sachverständigen ist ein wichtiger Teil unserer parlamentarischen Kultur. Für die nun fortschreitenden parlamentarischen Beratungen war diese Anhörung ein wichtiger Baustein«, so Roderich Kiesewetter (CDU) voll des Lobes , dessen Fraktion gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD 2016 das verfassungswidrige Gesetz auf den Weg brachte, das seit 2017 in der Anwendung ist. Mit dem seinerzeit eilig geschaffenen Regelwerk sollte vor allem das legalisiert werden, was seit den Enthüllungen von Edward Snowden im Sommer 2013 international in der Kritik stand. Schon damals schnorchelte der BND fleißig mit und vor allem im Auftrag für die NSA, da der deutsche Internetknotenpunkt in Frankfurt am Main von zentraler Bedeutung und besonderem Interesse ist.

Der vorliegende Gesetzentwurf entspreche nicht den Vorgaben des Verfassungsgerichtes und schaffe neue, teils noch problematischere Rechtslagen. Auch diese seien voraussichtlich nicht Verfassungskonform, führte Klaus Landefeld vom Eco Verband der Internetwirtschaft aus, der den Internetknoten DE-CIX betreibt. Im Gesetz sei , anders als verlangt , keine taugliche Begrenzung definiert. »Daten können in beliebiger Menge im In- und Ausland erhoben und der Erfassung zugeleitet werden«, sagt Landefeld. Faktisch würden 99,9 Prozent aller weltweiten Datenverkehr erfassbar, bliebe es bei den ineffektiven Regelungen im Gesetz. Von Begrenzung keine Spur.

Die gesamte Überwachung unter die Lupe nehmen
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Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas sieht den Gesetzentwurf nicht in Gänze gescheitert, jedoch weiterhin nicht hinreichend gestaltet, um einer erneuten Überprüfung stand zu halten. Garzeas bemängelte, dass es im vorgesehenen unabhängigen Kontrollgremium keine Instanzen gebe, die sich mit den Rechten der Geschädigten befassen, die widerrechtlich in die Überwachung gerieten. Auch würden journalistische Vertrauensbeziehungen unzureichend geschützt. Im Gesetz fehle eine Begriffsbestimmung und wer unter den Begriff Journalist*in falle, unterliege allein den Bestimmungen und Deutungen des BND.

Auch die besonders geschützte Anwalts-Mandanten-Beziehung werde durch das BND-Gesetz nicht hinreichend geschützt. Berufsgeheimnisträger*innen werden vor dem Zugriff auf die Kommunikationsdaten nicht geschützt.

Während die SPD der Ansicht ist, die Sachverständigen hätten bestätigt, dass grundsätzlich die Vorgaben des Verfassungsgerichtes umgesetzt wurden, weist André Hahn darauf hin, dass mit dem Gesetz auch diplomatische Konflikte aufkommen können, da der BND nun offiziell zum Hacker im Dienst des Staates werde. »Davon betroffen sind viele Millionen Nutzer von Plattformen wie Google, Facebook, Apple oder Amazon aus Deutschland, deren Daten vom BND nach staatlichem Eindringen miterfasst werden«, macht Hahn deutlich. »Die Bundesregierung hat die in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegenden Chancen zur «Verrechtsstaatlichung» nachrichtendienstlichen Handelns leider nicht ausgeschöpft«, kritisiert auch Konstantin von Notz, der für die Grünen im PKGr tätig ist. »Im Gegenteil, sie kratzt mit ihrem neuen Gesetzentwurf an zahlreichen Stellen am verfassungsrechtlich vorgegebenen unteren Mindestmaß, schreibt neue Probleme ins Gesetz, oder packt zwingend notwendige Neuregelungen nicht an.«

»Mit diesem Entwurf könnte das BND-Gesetz erneut in Karlsruhe scheitern. Die wirklich notwendigen Reformen wie eine Stärkung der parlamentarischen Kontrolle werden dagegen von dieser Bundesregierung erneut nicht angegangen«, so auch Benjamin Strasser, Innenpolitiker der FDP.

Die Bundesregierung verzögert offenkundig gemeinsam mit dem BND in immer neuen Entwürfen eine effektive parlamentarische Kontrolle. Kontrollgremien, wie das PKGr, die G-10-Kommission, aber auch Untersuchungsausschüsse werden oft gegeneinander ausgespielt. »Das ist keine Stärkung, sondern in der Endkonsequenz eine Schwächung hinsichtlich Effektivität und Wirksamkeit«, urteilt Hahn und stellt fest, dass die Bundesregierung offensichtlich bereit ist, weitere fünf Jahre mit rechtlichen Auseinandersetzungen zu verbringen und mit einem rechtswidrigen BND-Gesetz zu arbeiten. Hahns Fazit: »Die anlasslose Massenüberwachung lebt in neuem Gewand munter fort, statt abgestellt zu werden.«

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