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Vorbild für andere

Eine indigene Feministin kämpft gegen die Zerstörung ihres Landes in Brasilien

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 3 Min.

Ganz langsam fuhren Unbekannte in Autos mit getönten Scheiben am Dorf vorbei, schossen Fotos, verschickten massenhaft Nachrichten. Die Drohungen, sagt Alessandra Korap Munduruku, hätten in den letzten Wochen zugenommen. »Ihr einziger Weg ist es, Personen wie mich zu eliminieren.«

Korap ist Frauenrechtlerin und Vertreterin der Munduruku-Indigenen. Die kleingewachsene 36-Jährige mit dem tätowierten Gesicht wuchs am Ufer des Tapajós-Flusses auf, tief im brasilianischen Regenwald. Doch die Idylle Amazoniens ist bedroht: Staudämme und Bergbauprojekte verschmutzen die Natur, Goldschürfer und Holzfäller dringen gewaltsam in indigene Gebiete vor, immer mehr Waldflächen weichen Kuhweiden und Sojafeldern. Menschen, die sich dagegen wehrten, werden bedroht.

Aktivistin, sagt Korap, sei sie seit ihrer Geburt. Doch lange Zeit traute sie sich nicht, öffentlich zu sprechen. »Auf den Versammlungen im Dorf gab es keinen Platz für uns Frauen. Gesprochen haben immer nur die Männer.« Doch als auch in ihrem Gebiet die Bagger anrollten und Goldschürfer ihre Camps aufschlugen, ergriff die Mutter von zwei Kindern immer öfter das Wort. Heute, sagt sie, kämpften viele Frauen an vorderster Stelle mit. Korap ist mittlerweile eines der bekanntesten Gesichter des Amazonas-Regenwalds, sprach am 20. September 2019 am Brandenburger Tor vor 270 000 Menschen auf der Abschlusskundgebung des globalen Klimastreiks. Die von ihr mitgegründete Frauenassoziation Wakoborûn gilt als wichtige Stimme des indigenen Feminismus.

Insbesondere ein Projekt bereitet Korap und ihren Mitstreiter*innen große Sorgen: die Ferrogrão (Eiserne Bohne). Die geplante Bahntrasse soll quer durch das Gebiet der Munduruku gebaut werden, um Soja aus dem Süden zu den Häfen am Tapajós-Fluss zu transportieren und von dort direkt nach Europa und China zu verschiffen. Am schmutzigen Geschäft in Amazonien verdienen auch zahlreiche ausländische Firmen mit. Außerdem: Um Soja anzubauen, muss der Regenwald weiter gerodet werden, immer mehr Flächen werden dafür von Landinvasoren mit Gewalt eingenommen. »Die eingesetzten Pestizide vergiften unseren Fluss und die Fische«, sagt Korap. »Das Gift im Soja hat furchtbare Konsequenzen - sowohl für die Weißen als auch für uns.«

Korap ist eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt: 2019 faltete sie in einer Parlamentssitzung hochrangige Politiker*innen zusammen. Ein anderes Mal griff sie eine Bergbaufirma direkt an. Ein Video ihrer Rede ging viral, es folgten zahlreiche Morddrohungen, Korap landete auf Todeslisten. Und es blieb nicht bei Drohungen. Kurz nach der Rede wurde bei ihr eingebrochen, das Haus verwüstet. Dokumente, eine Speicherkarte und ein Handy fehlten, andere Wertgegenstände nicht. Korap ist sich sicher: »Das war eine Warnung.« In der Region gibt es viele Pistoleiros - Menschen, die bezahlt werden, um zu töten. Für kurze Zeit musste sie untertauchen. Heute vermeidet sie öffentliche Auftritte, teilt ihren Aufenthaltsort nicht mit.

Dass Menschen wie Korap um ihre Gesundheit fürchten müssen, hat auch mit einem Mann zu tun: Präsident Jair Bolsonaro. Bereits im Wahlkampf tönte der Rechtsextreme, keinen weiteren Zentimeter Land als Schutzgebiet für indigene Gemeinden ausweisen zu lassen. Er beschimpfte Indigene auf rassistische Weise und wetterte gegen Umweltschützer*innen. Seit seinem Amtsantritt 2019 baut die Regierung systematisch Umweltschutzmaßnahmen ab und kämpft für eine kommerzielle Ausbeutung des Amazonas-Regenwaldes. Kürzlich gab der Gouverneur des Bundesstaates Roraima, ein Verbündeter des Bolsonaro-Clans, bekannt, den Abbau von Quecksilber in der Region freizugeben. »Das wird verheerende Konsequenzen für die Indigenen haben«, meint Korap.

Mittlerweile werden sogar Unterstützer*innen der indigenen Feministin bedroht, zuletzt ihre Anwältin. Ob Korap Angst habe? »Ich darf mich nicht mehr fürchten«, sagt sie selbstbewusst. »Denn ich muss ein Vorbild für die anderen Frauen sein.« Die einzige Angst: ihr Land zu verlieren.

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