Zum Jubiläumsjahr im Rampenlicht

Der Dessauer Impfstoffhersteller IDT Biologica verarbeitet mehrere Corona-Impfstoffe und entwickelt selbst

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Sommer wird bei dem Impfstoffhersteller IDT Biologica aus Dessau-Roßlau ein großer Geburtstag gefeiert. Am 1. Juli 1921, also vor genau 100 Jahren, wurde das »Bakteriologische Institut der Anhaltischen Kreise« gegründet, das zu Tuberkulose forschte und ein Vorläufer des jetzigen Unternehmens ist. Das steht im Jubiläumsjahr im Rampenlicht wie selten zuvor. Es könnte gleich mehrere Impfstoffe herstellen oder verarbeiten, auf denen Hoffnung für die Überwindung der Corona-Pandemie ruht.

Einer davon kommt in der EU in nächster Zeit neu zum Einsatz: das Vakzin des Pharmakonzerns Johnson & Johnson, das vorige Woche in der EU zugelassen wurde und von dem 200 Millionen Dosen in Europa ausgeliefert werden sollen. Ein Teil davon wird in Dessau-Roßlau abgefüllt und verpackt, wie IDT Biologica jetzt mitteilte. Dafür wird eine Linie geräumt, auf der zunächst ein von Takeda Pharmaceutical entwickelter Wirkstoff gegen das Denguefieber produziert werden sollte. Für zunächst drei Monate erhält nun der Corona-Impfstoff Vorrang. Darauf hätten sich die beteiligten Unternehmen kurzfristig geeinigt, sagte IDT-Chef Jürgen Betzing. Das belege die »Breitschaft und Fähigkeit unserer Branche, kreative Ideen zur Lösung dieser Krise einzubringen«. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff nannte den neuen Fokus einen »weiteren wichtigen Schritt zur Bekämpfung der Pandemie«; Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) kommentierte, dieser sei ein »ganz wichtiges Signal für den Wirtschafts- und Pharmastandort«.

Das Präparat von Johnson & Johnson ist ein sogenannter Vektorimpfstoff. Deren Fertigung ist eine Spezialität des Dessau-Roßlauer Unternehmens, das sich auf Auftragsproduktion spezialisiert hat und nach eigenen Angaben alle Bereiche vom Forschungslabor über klinische Phasen bis zur kommerziellen Produktion abdecken kann. Dafür sorgen langjährige Erfahrungen mit Wirkstoffen zunächst für Mensch und Tier. 1980 wurde der Bereich Humanmedizin ausgegliedert und firmierte fortan unter der Bezeichnung VEB Impfstoffwerk Dessau-Tornau, woher auch die Abkürzung im heutigen Firmennamen stammt. 1993 wurde das Unternehmen privatisiert; seit 2007 firmiert es unter der internationaler anmutenden Bezeichnung IDT Biologica. Neben dem Werk in Dessau-Roßlau gibt es Niederlassungen in Magdeburg sowie in Rockville im US-Bundesstaat Maryland. Insgesamt hat das Unternehmen 1400 Beschäftigte.

Nach Ausbruch der Pandemie strebte IDT Biologica zunächst an, einen eigenen Impfstoff zu entwickeln. Entsprechende Studien für die erste Phase wurden von der öffentlichen Hand mit 114 Millionen Euro gefördert. Im November 2020 besuchte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Unternehmen, verortete dieses in der »Weltliga« und gab bekannt, die Bundesregierung reserviere fünf Millionen Impfdosen. Im Januar gab es einen Rückschlag. Erste Tests hatten ergeben, dass der Impfstoff zwar gut verträglich ist, aber nicht so wirksam wie erhofft. Die Arbeiten liefen jedoch weiter, und inzwischen glaube man bei IDT, »den Fehler gefunden« zu haben, wie die »Mitteldeutsche Zeitung« berichtete. Die Tests an Probanden sollen demnach wieder aufgenommen und die zweite klinische Testphase begonnen werden.

Doch auch bei der Versorgung mit Vakzinen anderer Hersteller spielt das ostdeutsche Werk, das einer von bundesweit 13 aktuellen oder potenziellen Standorten für die Produktion von Corona-Impfstoffen ist, eine wichtige Rolle. Das Präparat des schwedisch-britischen Unternehmens Astra-Zeneca wird seit Anfang des Jahres auch in Dessau-Roßlau produziert.

Im Februar teilte IDT Biologica mit, man wolle nach einer Vereinbarung mit Astra-Zeneca einen dreistelligen Millionenbetrag in die Erweiterung der Kapazitäten investieren; unter anderem sollten fünf 2000-Liter-Bioreaktoren installiert werden. Das würde die Produktion »mehrerer zehn Millionen Dosen« im Monat erlauben. IDT sehe sich als »strategischer Partner« von Astra-Zeneca, erklärte Betzing. Allerdings steht der Impfstoff in diesen großen Mengen erst mittelfristig zur Verfügung; die Anlage soll Ende 2022 in Betrieb gehen. Derzeit wird Astra-Zeneca in der Bundesrepublik und etlichen anderen EU-Ländern vorübergehend nicht verimpft, weil ein Zusammenhang mit Fällen von Thrombose untersucht wird.

Verstärkte Hoffnungen ruhen deshalb auf dem russischen Präparat Sputnik V, das wie die Präparate von Astra-Zeneca und Johnson & Johnson ein Vektorimpfstoff ist. Das Zulassungsverfahren in der EU läuft. Der russische Staatsfonds RDIF, der die Entwicklung finanzierte, meldete jetzt nach Angaben des »Ärzteblatts« ein Produktionsabkommen mit Deutschland und drei weiteren EU-Staaten. Als möglicher Standort für die Fertigung wird immer wieder Dessau-Roßlau genannt. Das Unternehmen betonte aber laut »Ärzteblatt«, man habe bisher keinen Vertrag geschlossen; die Gespräche dauerten an.

Der MDR stellte Betzing kürzlich die Frage, welches deutsche Unternehmen seiner Ansicht nach schnell und in großer Menge den russischen Wirkstoff liefern könnte. Da falle ihm nur IDT ein, so der IDT-Chef Betzing. Allerdings ist »schnell« in diesem Fall ein relativer Begriff. Fachleute merken an, dass die Vorbereitung der sehr anspruchsvollen Produktion vier bis fünf Monate dauern würde.

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