»Mein Bauch gehört mir«

Die Ausstellung »Maria und der Paragraph« setzt sich mit 150 Jahren Abtreibungsverbot auseinander

Warum Frauen einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen: Plakate in der Ausstellung »Maria und der Paragraph«.
Warum Frauen einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen: Plakate in der Ausstellung »Maria und der Paragraph«.

In der Kunstkantine am Franz-Mehring-Platz 1 eröffnet die sehenswerte Ausstellung »Maria und der Paragraph«. Es ist eine geschichtliche wie zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem Paragrafen 218 - der Schwangerschaftsabbrüche teilweise unter Strafe stellt. Die Umsetzung der Ausstellungsidee ist eine Kooperation von Münzenberg-Forum und Studierenden der Ostfalia-Hochschule für angewandte Wissenschaften.

»Maria und der Paragraph«
2. April bis 30. Mai, Montag bis Sonntag, 9 bis 21 Uhr, Eintritt frei

Kunstkantine im FMP1 (nd-Gebäude), Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
Ein Besuch ist nur mit vorheriger Anmeldung möglich: https://mariaundderparagraph.de
Im Haus weist ein lila Band auf dem Boden den Weg zur Ausstellung im ersten Stock.

»Die Ausstellung soll die Debatte um den Paragrafen 218 wiederbeleben. In diesem Jahr ist die Bundestagswahl. Wir möchten Leute anregen, sich für die Abschaffung einzusetzen«, sagt Mathias Nehls vom Münzenberg-Forum, der die Ausstellung mit entworfen hat.

Noch immer gibt es das gesellschaftliche Phänomen, dass alleine Frauen für eine Schwangerschaft verantwortlich gemacht werden, als gäbe es eine Art Windbestäubung oder, wie bei der biblischen Figur Maria, eine unbefleckte Empfängnis. Und so steigt auch die Ausstellung ein - mit dem gesellschaftlichen Wind aus Bevormundung, Fürsorge und Schuldzuschreibung, der Schwangeren auch heute noch entgegenweht. »Verdammt, ich bin schwanger«, mit diesem Gedanken konfrontiert die imaginäre »Maria« der Ausstellung die Besucherinnen und Besucher zum Start. Der dafür gewählte Raum ist düster, verwinkelt, verfügt über keine Fenster und wirft damit ein düsteres Bild auf die Auseinandersetzung. Den Frauen, die aus welchen Gründen auch immer einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, werde es schließlich nicht leicht gemacht, erläutert Ella Jenkins, Studentin der Kunstgeschichte und Ausstellungsbeteiligte, die Idee des gewählten Einstiegs.

Bevor ein Schwangerschaftsabbruch überhaupt infrage kommt, ist ein Beratungsgespräch vorgeschrieben. Diesen Umstand haben die Ausstellenden aufgegriffen, und so gibt es im nächsten Raum vielerlei Informationen. Der Raum steht im Licht der Aufklärung, was durchaus wörtlich zu nehmen ist, denn er ist deutlich heller und lichtdurchflutet. Obwohl die Aufklärung als historische Epoche für Frauen nicht unbedingt große Lichtblicke bot, sondern ihren zunehmenden gesellschaftlichen Ausschluss zur Folge hatte.

Setzt man Aufklärung aber schlicht mit Erkenntnisgewinn gleich, kommen Besucherinnen und Besucher im zweiten Raum der Ausstellung auf ihre Kosten. Anders als beim vorgeschriebenen Beratungsgespräch vor einem möglichen Schwangerschaftsabbruch informiert die Ausstellung breit über die Thematik und daraus resultierende aktuelle Kämpfe. Unter anderem über die juristischen und öffentlichen Auseinandersetzungen von Ärztinnen und Ärzten, die angezeigt wurden, weil sie über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches informiert haben.

Dem Paragrafen 218 ist der Paragraf 219 a zur Seite gestellt. Und dieser verbietet es, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben. Doch von vielen Ärzten wird dieses Werbungsverbot als Informationsverbot wahrgenommen. Auch »nd« berichtete darüber.

Im dritten Ausstellungsraum steht eine Mauer. Bildhaft wird die Teilung Deutschlands in Bundesrepublik und Deutsche Demokratische Republik aufgenommen. Der Raum steht im Zeichen der Geschichte des Paragrafen in den 70er und 80er Jahren. In der BRD haben Frauen massiv dagegen protestiert. Am bekanntesten ist wohl das »Stern«-Titelbild vom 6. Juni 1971 mit der Selbstbezichtigung von Frauen: »Wir haben abgetrieben!« Das auch in aktuellen Kämpfen, etwa von der »Taz«, diesmal mit Bezug auf den Paragrafen 219 a, wieder aufgegriffen wurde.

Am 9. März 1972 trat in der DDR ein neues Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen in Kraft. Obwohl es Kritik der Kirchen und auch von Abgeordneten der Volkskammer gab, wurde es mehrheitlich angenommen. Protest dagegen aus der Gesellschaft gab es nicht. Ein Grund dafür könnte die Ausrichtung des Gesetzes sein, das in seiner Präambel die Gleichberechtigung der Frau betont - und dass sie diejenige sein soll, die über eine Austragung der Schwangerschaft entscheiden müsse. Hier spiegelt der Gesetzestext die deutlich handlichere politische Parole und Forderung aus der BRD »Mein Bauch gehört mir« wider.

Nach der Wiedervereinigung wurde auch auf dem Gebiet der DDR der Abtreibungsparagraf der BRD wieder in Kraft gesetzt. Diese Entwicklung findet auch Jenkins empörend. Sie ist der Ansicht, bei diesem Paragrafen gehe es vor allem darum, »die Selbstbestimmung der Frauen zu negieren. Mit Schutz des Lebens hat das nichts zu tun.« Außerdem sei die Betroffenheit von diesem Strafgesetz so punktuell, dass viele Menschen, insbesondere junge Frauen, nur wenig darüber wissen. Das für Jenkins ein wichtiger Beweggrund, sich an der Konzeption und Durchführung der Ausstellung zu beteiligen.

Nachdem die Ausstellung noch weiter in die Vergangenheit geführt und sich mit dem Thema im Nationalsozialismus und zu Zeiten der ersten Frauenbewegung auseinandergesetzt hat, schließt sie mit möglichen Ausblicken. In den Fokus werden Argentinien und Polen genommen: Während Polen die Rechte der Frauen immer weiter eingeschränkt hat, wurde in Argentinien das Abtreibungsverbot abgeschafft. Das lateinamerikanische Land zeigt, dass man den Kampf für mehr Selbstbestimmung auch heute noch gewinnen kann.

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