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Rückenausschnitt mit Geschichte

Mode von der älteren an die jüngere Generation weiterreichen - das ist die Idee hinter dem Vintage-Shop »Oma Klara«. Hier wechseln nicht nur Kleider die Besitzer, sondern Geschichten

  • Anna-Lena Schlitt
  • Lesedauer: 8 Min.

Das Abendkleid mit dem Namen »Monika« war vor knapp fünfzig Jahren auf Weltreise - mit Oma Gisela. 1974 trug sie es zum Captains Dinner auf einem Kreuzfahrtschiff. Heute steht die rot geblümte Robe mit dem tiefen Rückenausschnitt in Mona Schütts Online-Vintage-Shop »Oma Klara« zum Verkauf. 82 Euro kostet der bodenlange Hingucker. Die Geschichte seiner früheren Trägerin gibt es dazu.

Mona verkauft »Kleiderschätze«, wie sie sagt. Im Onlineshop der 38-Jährigen gibt es Pullover, Blusen, Kleider und Röcke aus Omas Zeiten - genauer gesagt: aus Omas Kleiderschrank. Alles, was sie verkauft, ist mindestens zwanzig Jahre alt und erzählt eine ganz besondere Geschichte. Da gibt es das königsblaue Verlobungskleid von Oma Annabell, das sie nach der Verlobung gerne zum Tanzen ausführte. Oder den Strickpullover aus reiner Schurwolle, den Oma Hanne besonders für seine Knopfleiste schätzte, weil die Frisur beim An- und Ausziehen keinen Schaden nahm. Auf die Idee von »Oma Klara« kam Mona 2013 bei einer Familienfeier. Ihre Großmutter war in der neuesten Mode gekleidet, in Fliedertönen mit Pünktchen. Ein Trend, dem Mona bis heute nichts abgewinnen kann. Sie liebt Vintage-Mode. Regelmäßig durchkämmt sie mit ihren Freundinnen Secondhandläden und Flohmärkte nach raren Stücken.

»Ob sie ihre alten Kleider wohl noch hat?«, fragte sich die Vintage-Liebhaberin. Hatte sie. Der Kleiderschrank von Monas Großmutter war, wie der vieler anderer alter Damen, zum Bersten mit Kleidern gefüllt, die - entweder weil sie nicht mehr passten oder gefielen - seit Jahrzehnten nicht mehr getragen worden waren. Die Kleidung wegzuwerfen, kommt für viele alte Damen nicht in Frage - Altkleidersäcke und Container sind keine Option. »Allen Omis ist es superwichtig, dass die Sachen noch wertgeschätzt werden«, erklärt Mona. Sie wüssten nur nicht, wohin sie ihre alten Kleiderschätze geben sollen. Gleichzeitig beobachtet Mona ein wachsendes Interesse der jungen Generation an Vintage-Mode. Diese suche nach Möglichkeiten, Fast Fashion zu vermeiden, und sich fair und ökologisch zu kleiden.

Die Idee von einem Vintage-Shop, der die Kleider der älteren an die jüngere Generation weitergibt, lässt Mona nach der Familienfeier nicht los. In jeder freien Minute bastelt sie an einem Konzept. Der Wunsch nach etwas Eigenem begleitet sie schon lange. Außerdem soll ihr neuer Job besser zu ihr und zu ihren Fähigkeiten passen. 2014 ist es dann endlich soweit: Sie kündigt ihren Job als Verwaltungswirtin beim Landeskriminalamt in Stuttgart und gründet »Oma Klara«. »Mode war schon immer so ein Steckenpferd von mir«, erzählt Mona. Besonders Vintage-Mode habe sie schon immer begeistert. Die Liebe zur Mode sieht man der 38-Jährigen auch an. Von Kopf bis Fuß steckt sie in Vintage-Stücken. Bei winterlichen Temperaturen wärmt ein kuschliger weißer Strickpullover, im Sommer dürfen es auch mal ausgefallenere Blusen sein. Mona kauft seit Jahren keine neue Kleidung mehr. »Außer Socken, Schuhe und Unterwäsche«, lacht sie. Die kaufe sie aber bei nachhaltigen Labels.

Ihr Faible für Mode teilt Mona mit vielen alten Damen. Das zeigt sich besonders, wenn sie gemeinsam mit ihnen in den Kleiderschränken stöbert. »Dann leuchten die Augen der Omi und meine Augen leuchten, weil das einfach so tolle Stücke sind«, sagt sie und strahlt. Es sei schön, den tollen Kleidern ein neues Zuhause zu geben. »Wenn man sich mal überlegt, dass die sonst auf irgendeinem Kleiderberg oder in einem Altkleidersack gelandet wären«, sagt Mona. Ab und zu entdeckt sie auch einen Kleiderschatz für sich selbst. »Diesen Winter habe ich endlich einen Wollmantel gefunden«, freut sich die 38-Jährige, »den wollte ich schon lange.«

Topgepflegte Teile

Die ersten Kleiderschränke durchforstet sie noch in Stuttgart, dann zieht sie mit »Oma Klara« nach Freiburg. »Wir haben ›Oma Klara‹ ganz lokal gestartet«, erklärt Mona. Mittlerweile bekommt sie Angebote von alten Damen aus ganz Deutschland. Der Großteil schickt Fotos per E-Mail oder Messenger. »Die Omis sind sehr internetaffin - und das mit teilweise über 80«, sagt sie beeindruckt.

Inzwischen bietet Mona in ihrem Onlineshop Kleidung von über 300 älteren Frauen an. Diese werden am Gewinn beteiligt. »Oma Klara« verkauft die Kleidung auf Kommissionsbasis - wie viele Secondhandläden auch. Wird die Kleidung verkauft, bekommen die Frauen einen feststehenden Anteil am Verkaufserlös. »Wir haben eine ziemlich gute Verkaufsquote«, sagt Mona. Damit das so bleibt, muss sie bei der Auswahl der Kleidungsstücke streng sein. Mona nimmt nur Stücke auf, von denen sie denkt, dass sie der jungen Generation gefallen. Und auch bei der Qualität der Kleider muss alles stimmen. »In der Regel schauen wir, dass die Kleidung in einem so guten Zustand ist, dass wir sie direkt weitergeben können«, erklärt sie. Das heißt: keine Löcher oder Flecken. Aber das passiert ohnehin so gut wie nie. Meistens kommen Kleider frisch gereinigt in Kleidersäcken, in den Schuhen stecken Schuhspanner und die Taschen sind häufig noch in den original Schutzbeuteln verpackt. »Die Omis sind perfekte Partnerinnen«, findet Mona.

Für besondere ausgefallene Stücke macht Mona eine Ausnahme von den strengen Regeln. Erst letztens flatterte »ein absolutes Traum-Sommerkleid« ins Haus, es hatte aber einen Riss. Mona nahm es trotzdem auf. »Ich konnte nicht anders«, sagt sie und schmunzelt. Mittlerweile ist der Riss genäht. Das gelbe Chiffonkleid wartet im Freiburger Lager auf eine Käuferin.

Das Lager ist gut gefüllt. Rund 4000 Vintage-Schätze hängen fein säuberlich auf langen Kleiderstangen - darunter allein 220 Röcke, aber auch massig Kleider, Blusen, Hosen und Pullover. Ab und an blitzt etwas besonders auffälliges hervor: Ein Blazer im Hahnentrittmuster, ein knallpinkes Sommerkleid oder eine festlich-glitzernde Bluse. Daneben: eine ganze Stange voller Brautkleider - seidig-glänzend oder aus Spitze, mit ausladendem Tüllrock und schulterfrei. Und im Büro warten bereits sechs weitere Lieferungen - weniger als sonst. Grund dafür ist die Corona-Pandemie. Die alten Damen, von denen die Kleidungsstücke kommen, gehören zur Risikogruppe. Um sie zu schützen, nehmen Mona und ihr Team keine Kleider mehr vor Ort an. Und auch per Post kommen weniger Lieferungen. Aber halb so wild: »Wir haben die Zeit genutzt, um die Kleiderberge abzuarbeiten«, lacht Mona. Jeder Neuankömmling bedeutet viel Arbeit.

Einmal pro Woche werden die Neuzugänge fotografiert. Deshalb ist ein Teil des Lagers zu einem Fotostudio umfunktioniert - Umkleide, Schminktisch und Studiohintergrund inklusive. Als Model hat Mona eine Studentin aus Freiburg engagiert. »Wir überlegen uns schöne Kombis, damit wir die Stücke auch wirklich gut in Szene setzen.« Sie kombiniert Vintage-Stücke auch mit aktuellen Trends. Die Blumenbluse aus den 1970er Jahren passe beispielsweise gut zu einer Mom-Jeans, einer hoch geschnittenen Karottenhose, findet Mona. Die wöchentlichen Fotoshootings mit Model und Team können gerade wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden. Das Ansteckungsrisiko sei viel zu hoch, sagt Mona.

Lager und Büro sind seit Wochen wie ausgestorben - sie und ihr Team arbeiten im Homeoffice. Wer doch mal in die Räumlichkeiten von »Oma Klara« muss, kommt alleine. Und dann heißt es improvisieren. Statt mit einem Model werden die Kleider gerade auf einem Kleiderbügel abgelichtet. Nach dem Shooting werden die Fotos online gestellt - zusammen mit präzisen Beschreibungen zu Größe, Material, Schnitt und Farbe. Und: einer Anekdote zu dem Kleidungsstück. Für Mona sind es vor allem die großen und kleinen Geschichten der Trägerinnen, die Vintage-Mode zu etwas Besonderem machen. Secondhandkleidung sei sonst immer so anonym, findet die Gründerin. Mit »Oma Klara« will sie dieser Anonymität etwas entgegensetzen - die Geschichten der Frauen bewahren.

Die meisten Geschichten erfährt Mona, während sie sich gemeinsam mit den alten Damen durch die Schränke gräbt. Aber auch bei der digitalen Auswahl will sie nicht auf die persönliche Komponente verzichten. Dafür hat sie das sogenannte Eigentümerdatenblatt entworfen - eine Din A4-Seite davon ist nur für die Erinnerungen der Frauen reserviert: Können sie sich noch daran erinnern, wann sie das Kleidungsstück gekauft haben? Gab es einen besonderen Anlass? Haben sie es gerne getragen? Wie haben sie es kombiniert? All diese Erinnerungen sammelt Mona, um sie an die neuen Besitzerinnen weiterzugeben.

»Wir wollten die Geschichte so nah wie möglich am Kleidungsstück haben«, erklärt Mona. Deshalb hängt an jedem Kleidungsstück ein weißes Etikett, ein »Kleidertag«, wie sie sagt. »One of her Stories«, eine ihrer Geschichten, steht darauf, darunter in Schönschrift die Anekdoten der Frauen - und ihr Name.

Jedes Stück eine Erinnerung

»Inzwischen gibt es megaviele schöne Geschichten«, sagt Mona. Spannend werde es eigentlich immer, wenn die Erinnerung nur ein bisschen über das Jahrzehnt hinausgeht, in dem das Kleidungsstück gekauft wurde. Aber es gebe natürlich Geschichten, die besonders im Gedächtnis bleiben. Besonders gut erinnert sich Mona an Oma Heidi aus Freiburg. Als sie 17 war, hatte ihr Bruder sie zum Kauf eines Marimekko-Kleides überredet - »das sind wirklich hochwertige Designerkleider, muss man wissen«, wirft Mona ein - und sie darin fotografiert. Einige Jahre später arbeitete er dann als Modefotograf für die »Elle« in Paris. »Das fand ich supercool«, lacht Mona. Das Schönste sei aber, dass die Geschichte der Kleider nicht mit der Abgabe an »Oma Klara« endet. »Es werden neue Geschichten geschrieben«, freut sich die Gründerin. Natürlich interessiere es auch die Omas, wie es mit ihren Kleidern weitergeht. Deshalb schicken viele Kundinnen Fotos von ihrem neuen Lieblingsstück. Besonders schön sei es, wenn die Kleider zu einem besonderen Anlass gekauft werden - zum Beispiel für den Abschlussball oder eine Hochzeit.

»Oma Klara«, das sei mehr als ein Onlineshop, sagt Mona. Durch die Liebe zur Mode entstehe ein Austausch zwischen den Generationen, der weit über die Kleidung hinausgeht. Viele Kundinnen hätten beim Kauf das Gefühl, sich etwas ganz Besonderes zu leisten. Einen richtigen Kleiderschatz.

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