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Sting, Wim, Herbert und ich
Blitzlichtgewitter auf der Kopfhaut: Wie mich mal eine echte Promi-Hair-Artistin frisierte
Ich stehe auf einem Pferdehof in der Uckermark und sehe Marie dabei zu, wie sie Abteilung reitet. Schritt, Trab, Schritt, Leichttrab, Galopp. Schritt, Trab, Schritt, Leichttrab, Galopp. Der Sand staubt unter den Hufen. Man hört die knappen Kommandos der Trainerin.
Was das Leben so mit einem macht, denke ich. Würde Marie sich für Fußball statt für Pferde begeistern, stände ich nicht hier. Johanna ist in Templin auf dem Wochenmarkt und Flora stromert mit einem anderen Mädchen durch die Pferdeställe. Sie wollen die Hofkatze fangen.
Katzen, Pferde, Kinder. Ich mag die Wochenenden in der Uckermark. Ein paar Meter neben mir steht eine Frau, der es augenscheinlich genauso geht. Mit einem Grinsen sieht sie in die Welt und ihrer Tochter beim Reiten zu. Wir zwei sind die einzigen Zaungäste.
Nach einer Weile kommen wir ins Gespräch. Sie heißt Henriette, ihre Töchter Elisa und Ava. Elisa reitet in der Abteilung mit, und Ava ist das Mädchen, das mit Flora auf Katzenjagd ist. Henriette erzählt mir gerade, dass sie Hair- und Make-up-Artistin ist, als Flora und Ava zu uns kommen.
»Die Katze ist schnell«, sagt Flora.
»Pferde können im Stehen schlafen«, sagt Ava.
Aus der Nähe sehe ich, dass Ava eine wunderschön verschnörkelte Flechtfrisur hat. Es sind Braids, die sich in sanften Wellen wie ein Gedicht an ihren Kopf schmiegen. Es ist ein richtiges kleines Kunstwerk, das sie da spazieren trägt.
»Wow«, sage ich. »So eine Frisur hätte ich auch gerne.«
»Hat Mama gemacht.«
Ava und Flora flitzen wieder los.
Henriette mustert meine Haare. Meine Haare sind lang und in der Andeutung eines Dutts am Hinterkopf zusammengeknäult.
»Zeit haben wir ja«, sagt sie. Sie greift in ihre Tasche und hält eine Handvoll Haargummis hoch. Und aus ihrer Gesäßtasche zieht sie einen Kamm, so wie Cowboys in Western ihren Revolver ziehen. Sie deutet auf einen Baumstumpf. »Dort wäre ein Frisierstuhl.«
Hatte ich das ernst gemeint? Jedenfalls hat Henriette es ernst genommen.
Ich setze mich auf den Baumstumpf. »Du scheinst deinen Job ja zu lieben.«
»Auf jeden Fall.« Sie stellt sich hinter mich, löst mein Haar aus dem Möchtegern-Dutt und fächert es mit ihren Fingern auf. Wir können weiterhin unseren Töchtern beim Reiten zusehen.
»Frisierst du auch manchmal Promis?«, frage ich.
»Eigentlich hauptsächlich. Also wenn man Models dazurechnet. Ich mache Celebritys schick fürs Blitzlichtgewitter.«
Blitzlichtgewitter. Ein schönes Wort. Und Celebrity auch. Es klingt nach roten Teppichen, jubelnden Fans und glitzernden Kristallkronleuchtern auf exklusiven Empfängen.
»Welche Berühmtheiten hattest du denn schon unter deinem Kamm?«
»Stings Bart und ich, wir waren ein Team. Gut vier Wochen lang.«
»Oh, eine Menge«, sagt Henriette. »Herbert Grönemeyer, Franziska Knuppe, Roger Federer, Regina Halmich, Wim Wenders und Sting zum Beispiel. Ich frisiere das ganze Alphabet. A-, B- und C-Promis.« Sie erzählt, dass sie auf Filmsets, bei Mode-Shootings, Fashion Weeks und Charity-Galas im Einsatz ist. Eine mir unbekannte Welt.
»Eine meiner liebsten Zusammenarbeiten war mit Sting. Beziehungsweise mit seinem Bart.«
»Mit seinem Bart?«, sage ich erstaunt.
»Ja. Stings Bart und ich, wir waren ein Team. Gut vier Wochen lang.«
»Was hast du gemacht? Hast du ihm Honig ums Maul geschmiert?«
Henriette lacht. »Nicht ganz, aber fast. Sting hatte eine Show in Paris. Er ist dort einen Monat lang mehrmals aufgetreten. Das ist schon ein paar Jahre her. Sein Bart war damals leicht ergraut. Was ja sehr sexy sein kann, dieser Poivre-et-Sel-Look. In den Mundwinkeln hatte sein Bart aber weißgraue Flecken. Im Scheinwerferlicht auf der Bühne sah es aus, als habe er dort noch Zahnpasta kleben. Mein Job war es, den Fleck verschwinden zu lassen.«
Eins der Pferde wiehert. Die Abteilung kommt kurz in Unordnung und muss sich neu sortieren.
»Ein Bart, vor allem wenn er kurz gestutzt ist, wächst sehr schnell«, sagt Henriette. »Einmal die Woche musste ich nachfärben.«
»Bartfärberin«, sage ich. »Hört sich an wie ein Beruf, den es schon im Mittelalter gab.«
»Das klingt so easy, wenn ich das erzähle. Aber beim ersten Termin habe ich ganz schön geschwitzt. Ich war mir nicht sicher, ob die Barthaare die Farbe annehmen, die ich besorgt hatte. Ich hatte auch Sorge, versehentlich Lippe, Mundwinkel oder die Haut unter dem Bart mitzufärben. Ich habe sehr vorsichtig Vaseline aufgetragen. Es ging alles gut. Bei unserem dritten Treffen habe ich nicht nur seinen Bart, sondern auch seine Haare gefärbt. Das war in seinem Hotelzimmer. Ich habe im Bad die Farbe aufgetragen. Dann saßen wir auf dem Badewannenrand und warteten. Die Farbe musste ja einwirken. Sting hatte plötzlich eine winzige Gitarre in der Hand. Und gab mir, um die Zeit zu überbrücken, ein kleines Konzert. Unplugged.«
Mit ihrem Revolverkamm scheitelt Henriette mir die Haare und sortiert sie mithilfe der Haargummis neu. Dann beginnt sie mit dem Flechten. Direkt in der Mitte, wenn ich mich nicht täusche. Ich sehe es ja nicht, ich fühle es nur. Meine Kopfhaut spannt und prickelt. Braids bringen auch automatisch ein Facelifting mit sich. Wahnsinn, durchzuckt es mich plötzlich: Meinen Kopf berühren gerade Hände, die schon Sting berührt haben. Ich bin ganz aufgeregt. Eigentlich bescheuert. Aber da ist die Vorstellung, mit etwas Größerem, Bedeutendem verbunden zu sein. Als würden Sting und ich uns privat kennen. Als hätte ich an seinen Songs mitgeschrieben und mit ihm auf der Bühne gestanden.
»Ist dir kalt?«, fragt Henriette.
»Warum?«
»Weil du Gänsehaut auf dem Kopf hast.«
»Oh«, sage ich. »Das …, na ja.«
»Was?«
Ich räuspere mich. »Es fühlt sich an, als ob du mir Stings Songs in den Kopf flichtst. ›Every Breath You Take‹. ›Englishman In New York‹. ›Message In a Bottle‹. ›Roxanne‹. ›Walking On the Moon‹. Jedes Braid ein eigener Song.«
Das Schnauben der Pferde und ein »Te-rab« der Trainerin sind zu hören.
»Klingt bescheuert, ich weiß«, sage ich zu Henriette.
»Ja«, sagt sie. »Das ist schon schräg. Aber irgendwie auch schön, die Vorstellung.« Sie flicht weiter.
Mir kommt Peter Becker in den Sinn. Peter Becker ist ein literarischer Autogrammjäger. Ein Freund von Freunden, mit dem ich mich mal einen Abend lang auf einer Party unterhalten habe. Die Geschichte, die er von Hilde Domin erzählt hat. Nach einer Lesung ging er zu ihr und bat sie um Autogramme. Im Internet hatte er vorher zehn Bilder von ihr herausgesucht und sie im Format 13 x 18 mit weißem Rand auf Fotopapier drucken lassen. »So schöne Fotos«, sagte Hilde Domin. Sie unterschrieb unten auf dem weißen Rand. »Wo haben Sie die her?« Peter erklärte es ihr. Sie fragte, ob sie eins der Bilder haben dürfe. »Na klar«, sagte Peter.
Einen Monat später war sie tot. Es war ihre letzte Lesung gewesen. »Ich frage mich, was sie mit dem Foto gemacht hat«, sagte Peter auf der Party zu mir. »Wo sie es hingestellt hat. Ob sie an mich dachte, wenn sie es ansah.«
Ich frage mich, ob Sting manchmal an die Frau denkt, die ihm in Paris den Bart färbte und mir gerade die Haare flicht. Mittlerweile trägt er keinen Bart mehr. Der ganze Aufwand wäre nicht mehr nötig.
»Fertig«, sagt Henriette und holt mich aus meinen Gedanken zurück auf den Pferdehof.
Sie hält mir ihr Handy hin, das sie auf Frontkamera gestellt hat, damit ich mich betrachten kann. Genau in diesem Moment kommt Johanna mit den Einkäufen um die Ecke.
»Alter Schwede«, sagt sie und nimmt ihre Sonnenbrille ab. »Du siehst aus wie der skandinavische Zwilling von Snoop Doggy Dogg. Du könntest auf dem Marktplatz von Templin Autogramme geben.«
Ich blicke in die Kamera und muss grinsen. Na, wenn sie meint. Die Reitstunde ist zu Ende. Die Mädchen auf ihren Pferden sehen zu uns rüber und strecken synchron ihre Daumen nach oben. Die Trainerin auch. Als ob sie sich abgesprochen hätten.
Blitzlichtgewitter, denke ich und fühle mich ein bisschen wie ein Star, auch wenn weit und breit kein roter Teppich zu sehen ist.
»Every Little Thing She Does Is Magic«, summen meine Braids.
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