Lebenslang links

Heiner Halberstadt, einer der Gründerväter der hessischen Linken, ist gestorben. Ein Nachruf

  • Claus-Jürgen Göpfert
  • Lesedauer: 3 Min.

Es sind Szenen gewesen, die sich in sein Gedächtnis eingebrannt hatten. Als zehnjähriger Junge erlebte Heiner Halberstadt, wie die Nazis in Dortmund-Hörde die Synagoge anzündeten, Menschen mit den Schlägen von Gewehrkolben auf Lastwagen trieben und in die Lager abtransportierten. Im Alter von 16 Jahren tauchte er unter, als er 1944 noch zur Flak abkommandiert worden war. Für den Linken waren die Worte »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg« mehr als nur eine politische Parole. Er begriff sie als Lebensaufgabe.

Bundesweit verbindet sich sein Name mit der Gründung eines linken Treffpunkts, der dann in Deutschland viele Nachahmer fand. 1962 hatte er in der Frankfurter Innenstadt den »Club Voltaire« eröffnet, der heute noch besteht. Ein Freiraum sollte es sein, auf den der konservative Adenauer-Staat keinen Zugriff besaß, ein Ort für politische Diskussionen, aber auch für Lesungen und Musik. Der »Club« setzte bald Zeichen. Autorinnen und Autoren aus der DDR traten dort auf, die Liedermacherin Joan Baez war dort ebenso zu Gast wie Aktivisten der militanten Black Panther aus den USA. Als US-Soldaten in Frankfurt aus Protest und Angst vor dem Vietnam-Krieg desertierten, verhalf ihnen Halberstadt zur Flucht.

Als 1968 die Revolte der Studenten ausbrach, war er zunächst auf Distanz zu den Söhnen und Töchtern aus bürgerlichen Familien. Doch bald wurde der »Club« auch für die 68er zur politischen Heimat, der Studentenführer Hans-Jürgen Krahl trat dort auf, zahlreiche Fernsehteams machten die kleine Kneipe, die Bar im Erdgeschoss und die Bibliothek im ersten Stock bundesweit bekannt.

Halberstadt war 1946 in die SPD eingetreten. Doch mit den Sozialdemokraten und ihrer Politik haderte er ein Leben lang. Es war für ihn selbstverständlich, sich Anfang der 60er Jahre an den Ostermärschen und den Protesten gegen die Wiederbewaffnung der jungen Bundesrepublik zu beteiligen. Dafür schloss ihn die SPD 1962 aus. Halberstadt engagierte sich bei der Stadt Frankfurt, wurde Mitglied des städtischen Gesamtpersonalrates. In den frühen 70er Jahren näherte er sich wieder der SPD an. Es war die Ostpolitik des Bundeskanzlers Willy Brandt, der ihm als moralische Autorität galt, die ihn 1972 zum Wiedereintritt in die SPD brachte.

1989 folgte dann sogar ein Ausflug in die Machtpolitik, der freilich nicht gut endete. Halberstadt wurde Referent des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Volker Hauff. Doch die rot-grüne Koalition zerbrach nach wenigen Jahren. SPD-Stadtverordnete , denen die rot-grüne Reformpolitik zu weit ging, verweigerten in geheimer Wahl Stadtratskandidaten der Grünen ihre Stimme. Halberstadt hatte im Römer zum Beispiel darauf gedrängt, sich mit Modellen des sozialen Wohnungsbaus aus Skandinavien zu beschäftigen, doch niemand wollte auf ihn hören.

Er warb bald darauf für eine enge bundesweite Zusammenarbeit der PDS mit der Sozialdemokratie. Deshalb strengte die SPD ein neues Ausschlussverfahren an. Jetzt hatte Halberstadt endgültig genug: 1995 trat er aus der SPD aus und nannte das eine »Befreiung«. Besonders übel nahm er »seiner« Partei die Aufweichung des Asylrechts. 1998 trat er in die PDS ein, für die er von 2001 bis 2006 im Frankfurter Stadtparlament saß, schrieb Zeitungsartikel, auch für das »nd«.

Mit besonderer Sorge sah er das Erstarken der Rechten in Deutschland. Die Gedanken der Aufklärung hätten hierzulande nie wirklich gegriffen, sagte er dazu. Jetzt ist der 92-Jährige, der Mitglied im Ältestenrat der Linken war, in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main gestorben.

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