Luxus ist Klasse

Hochglanz für alle: Die US-amerikanische Zeitschrift »Lux« stellt sich klar in die Tradition Rosa Luxemburgs. Ist die »Marxist Vogue« die Zukunft des feministischen Journalismus?

  • Olja Alvir
  • Lesedauer: 7 Min.

Sattes Rot und Gelb in Hochglanzformat, das Logo erinnert an Art Déco der Weimarer Republik, die dominanten Serifen verheißen Opulenz. Auf den Seiten prangen zweideutige Slogans: »It’s sex - with class.« Oder: »Lux Magazine - we want it all«. Auch der Webauftritt ist verführend, im wahrsten Sinne des Wortes: Ist das jetzt eine feministische Publikation oder doch ein Start-up für Designer-Sexspielzeug?

Doch die Doppeldeutigkeit ist intendiert. Die Mission von »Lux« ist eine Welt, »in der alle Zugang zu Nahrung und Obdach, zu Schönheit und Genuss haben«. Und: »Wir wollen nicht die armseligen Optionen, die uns angeboten werden. Wir wollen alles.« Dass dieses gute Leben für alle möglich sein sollte, spiegelt sich in der Entscheidung für das mondäne Layout und die Bildsprache wider: Wenn der Kapitalismus »das Leben grau und deprimierend macht«, wie die Herausgeberin Sarah Leonard in einem »Taz«-Interview sagt, müsse ihm die Kritik auch visuell etwas entgegensetzen.

Der umfassende Anspruch der Ende 2020 in den USA gegründeten Publikation ist, ein feministisches Magazin »für die Massen« zu sein. So etwas haben wir ja schon öfter gehört: Die Idee, dass endlich einmal eine linke oder feministische »Bild« gemacht gehört, spukt schon seit einigen Jahren in den Köpfen ähnlich gesinnter Kolleg*innen herum. Generell stehen linke publizistische Projekte dann schnell vor der Frage, wie Niedrigschwelligkeit, konsequente Kritik und ökonomische Selbsterhaltung miteinander vereinbar sind.

»Lux« antwortet darauf mit innovativen und gewagten Themen, voraussetzungsloser Lesbarkeit ohne Theorieerfahrungen und einem Abo-Modell, in dem zwischen verschiedenen digitalen und analogen Modellen gewählt werden kann. Es gibt keinen gratis Online-Zugriff auf Inhalte, und »Lux« beugt sich auch nicht dem Mandat der stetigen Social-Media-Inhaltsproduktion oder Suchmaschinenoptimierung.

»So ist es mir passiert«

Die Inhalte des »Quarant-Zine« mit dem Titel »Luminous Acts of Anti-Capitalism«, das Ende 2020 herauskam, sowie der ersten regulären Ausgabe im Frühjahr 2021 umfassen Analysen, Reportagen und klassische Berichte vielfältiger Autor*innen zu vielfältigen Themen - vom Porträt der Wissenschaftlerin und Aktivistin Keeanga-Yamahtta Taylor über einen Beitrag über das Verhältnis von Antirassismus und Privateigentum zu einem Artikel über Transphobie auf britischen Messageboards. Das Wortspiel Luxus versus Luxemburg wird weitergeführt, etwa in einem Essay über ein sowjetisches Parfüm, entwickelt als russische Alternative zu Chanel No. 5.

Grundsätzlich weicht ein pseudo-objektiver journalistischer Habitus einer sozialistisch und feministisch engagierten Schreibweise, die kritisch Partei ergreift und verschüttete Zugänge wiederbelebt. Hier begegnen wir einem Manifest der italienischen Movimento di Lotta femminile di Padova für körperliche Selbstbestimmung ebenso wie einem Artikel über Alexandra Kollontais sexpositiven Bolschewismus. Die Hintergründe der Gründerinnen spiegeln den sozialistisch-feministischen Einschlag der Publikation wider: Einige der »Lux«-Redakteur*innen, darunter Sarah Leonard und Cora Currier, kennen sich aus einem männerfreien »Das Kapital«-Lesekreis; Marian Jones kam aus einer New Yorker sozialistisch-feministischen Aktionsgruppe dazu.

Ein augenzwinkerndes »It happened to me« (»So ist es mir passiert«) auf dem Cover erinnert sprachlich an erotische Erlebnisberichte. Überhaupt ist Sex ein Schwerpunktthema der ersten Ausgabe, ein in linken Publikationen zu selten behandeltes Thema, wie Herausgeberin Leonard in der »Taz« kritisiert. Dabei steht Aufklärung über die Bedingungen von Lust neben Beiträgen über reproduktive Rechte oder sexuelle Gewalt und ihre Ahndung; ein Zusammenhang, den bereits die herausgeberische Frage herstellt: »Was ist nicht nur für unser Überleben, sondern auch für unser Vergnügen nötig?«

Die eindeutige sozialistische Positionierung ist erfrischend. Viele andere feministische und an Frauen gerichtete Druckwerke trauen sich nicht wirklich, klar antikapitalistisch zu kommunizieren, und bewegen sich verlegen zwischen Links- und Neoliberalismus. Als Ausnahme zu nennen ist überraschenderweise die amerikanische »Teen Vogue«, in der Leonard im Mai vergangenen Jahres als Teil der Serie »Bread and Roses« über sozialistischen Feminismus schreiben konnte. Doch zu groß ist für die Mehrheit die (ökonomische) Angst, zu hoch das Risiko, es sich mit dem mageren und launigen Inseratsmarkt zu verderben oder potenzielle Leser*innen, für die Marxismus oder Sozialismus doch noch Schreckgespenster sind, zu verschrecken. Das ist bei »Lux« anders.

Das Magazin baut bewusst auf einem »reichen Erbe sozialistisch-feministischer Theorie« auf und wendet sich gleichzeitig an Leser*innen, die Marx - oder jegliche linke oder feministische Theorie - nicht gelesen haben. Noch nicht. In ihrer Selbstdarstellung verstehen die Herausgeber*innen die Verbindung von Klassen- und Genderfragen als »kaleidoskopischen Zugang zum Kampf«, also Intersektionalität als bewusst facettenreiche Solidarität. Damit versucht »Lux«, auch eine Lücke im linken Diskurs zu schließen und die teilweise untereinander verfeindeten linken Positionen zu versöhnen.

Girl Boss ist tot

»Lux« versteht sich als linke Replik auf die Kommodifizierung, also kapitalistische Einvernahme und Verwässerung feministischer Ideen, verkörpert vom Begriff des Girl Bosses. Girl Boss ist eine Figur aus der neoliberalen Ikonografie: Eine Frau, die es als Frau eben »trotz allem« an die Spitze meistens halsabschneiderischer Unternehmen oder unterdrückerischer Strukturen geschafft hat, und somit Fortschritt und Erfüllung feministischer Forderungen verkörpern soll.

Tatsächlich dient dieses Bild nur dem »Reinwaschen des Rufs des Kapitalismus«, wie Leonard sagt. Die Vorreiterrolle der USA in dieser Entwicklung ist deutlich: Während es im englischsprachigen Raum eben beispielsweise durch »Lux« einen klare Antwort auf die Kommerzialisierung gibt, sind vergleichbare Ansätze im deutschsprachigen Raum erst vereinzelt zu beobachten. Hier sind Medienhäuser und Medienmacher*innen gerade erst dabei, einen neuen, gleich gut verdaulichen wie verkäuflichen Lebe-Lache-Liebe-Feminismus für sich zu entdecken.

Das an Frauen gerichtete Magazinsortiment bewegte sich noch bis vor einigen Jahren auf zwei verschiedenen Schienen. Einerseits gab es jene traditionsreichen Publikationen, die man klassischerweise als Frauenmagazin bezeichnet und die sich den Themen Beauty, Style, Fashion, Klatsch und Tratsch sowie Homemaking widmeten. Ihnen gegenüber standen feministische Publikationen, die ab 1968 gegründet wurden und sich teilweise explizit auch in Abgrenzung zu Ersteren konstruiert haben - inhaltlich wie ästhetisch. Als Kontrast zu den glatten und glänzenden Oberflächen von »Brigitte« & Co arbeitete eine frühere Generation feministischer Publikationen mit ästhetischen Mitteln, die zwischen Do-it-yourself und Punk anzusiedeln sind: Ein heute halb vergessenes Beispiel ist die anarcha-feministische Zeitschrift »Die Schwarze Botin«, die zwischen 1976 und 1980 ihre radikale Gesellschaftskritik, die nicht selten die Brücke zwischen Politik und Avantgarde schlug, mit monochromen Montagen unterlegte.

In den letzten Jahren werden solche kategorischen Grenzen durchlässiger, auch die einmal gegenläufigen Bildsprachen werden immer öfter wechselseitig kooptiert. Das Internet und Social Media haben zweifellos eine weitere Diversifizierung des publizistischen Spektrums ermöglicht. Dabei ging diese Wende mit einem neuem, auch wissenschaftlichen Interesse für den Unterhaltungssektor sowie einer feministisch orientierten Aufwertung von Themen einher, die bislang als »Frauenkram« marginalisiert worden waren.

Feministische Ansätze, Ansprüche und Kritiken fließen nun zunehmend auch in die konservativere Publikationswelt ein. So kommt heute auch das marktorientierteste und konservativste Frauenmagazin nur noch kaum drum herum, über Self Care, Gewalt in der Geburtsmedizin und Cultural Appropriation zu berichten. Auch in den kommenden Jahren wird feministische Herausgeber*innenschaft die Frage begleiten, ob es sich bei den gegenwärtigen Entwicklungen um Zeichen eines realen politischen Wandels oder um die kapitalistische Kommodifizierung emanzipatorischer Kämpfe handelt - oder um beides. In der Diskussion, inwieweit Vermarktbarkeit und feministische und sozialistische Praxis vereinbar sind, gibt es jedoch zumindest einen greifbaren und nicht zu vernachlässigenden Indikator: den Lohn.

Arbeit für einen guten Zweck?

Wenn es stimmt, was in einem Twitter-Post über »Lux« gesagt wird, nämlich: »They pay good money!«, also dass die Bezahlung (auch der freien) Redakteur*innen gut ist, dann wäre Lux in anderer Hinsicht wirklich revolutionär. Das Berliner »Missy Magazine« hatte etwa im September 2020 viel Kritik einstecken müssen, als es ein Praktikum mit 250 Euro monatlicher Aufwandsentschädigung ausschrieb. Generell lassen sich die Honorare im linken und feministischen Spektrum nicht mit jenem im konservativen Milieu vergleichen. Die zu einem Teil nachvollziehbare Argumentation ist, dass das Geld zwar leider knapp sei und die Honorare daher nicht konkurrenzfähig, aber immerhin arbeite man hier ja für einen guten Zweck.

Die faire Bezahlung der Arbeiter*innen - in diesem Fall der Text- und Bildproduzent*innen - an allererste Stelle zu stellen, diese gar gegenüber dem Bedürfnis, zu publizieren, zu priorisieren, ja, das ist dann sogar innerhalb feministischer und linker Kreise doch sehr radikal. Zukunftsweisend, hoffentlich. In seinen Glanzmomenten ist der formale Erfindungsreichtum von »Lux« jedenfalls mehr als nur ein Gimmick, indem er radikale Politik und die ästhetische Aufmachung konservativer Frauenzeitschriften wissend synthetisiert, ohne in einer der beiden Kategorien Abstriche zu machen. Es zeigt sich: Wir KÖNNEN tatsächlich alles haben. Mit »Lux« lernen wir vielleicht auch, wie. Bleibt zu hoffen, dass sich das ambitionierte Blatt länger hält als so manche ihrer ähnlich »massentauglichen« Vorgängerinnen.

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