Deutsche Industrie mit Klima-Paradigmenwechsel

Spitzenverband sieht Klima­schutz nur noch als Ballast an und wirbt für frag­würdige Techno­logien wie die Kernfusion

BDI-Chef Peter Leibinger interessiert sich eher weniger für das Klimathema.
BDI-Chef Peter Leibinger interessiert sich eher weniger für das Klimathema.

Klimaschutz per Kernfusion? Daran glaubt die Bundesregierung. Dieser Tage beschloss das schwarz-rote Kabinett einen Aktionsplan. Für die Kernfusionsforschung macht die Regierung bis 2029 mehr als zwei Milliarden Euro locker. Damit soll in Deutschland das erste Fusionskraftwerk der Welt gebaut werden, bekräftigt Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU). Sie spricht von einem Flaggschiff der deutschen Hightech für sichere, klimafreundliche und bezahlbare Energie.

Mit dem Bau würden einige millionenschwere Start-ups lieber heute als morgen beginnen, wie sich am Donnerstag auf dem Klimakongress 2025 des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin zeigte. Die zwei Milliarden reichten dazu allerdings nicht, denn von denen seien nur etwa 750 Millionen Euro zusätzliches Geld, rechnete Milena Roveda von der Gauss Fusion GmbH aus München vor. Gebraucht werden nach Ansicht der Fusionsbranche um die drei Milliarden öffentliches Geld, um ein, wie Vertreter betonten, »kommerzielles Demonstrations-Kraftwerk« bauen zu können. Die öffentliche Hand müsse nun klarstellen, dass es ans Machen gehe, damit die Risikokapitalgeber an Bord bleiben, hieß es weiter.

Fusionsenergie als geopolitische Waffe

Die Dringlichkeit begründet die Branche inzwischen auch damit, dass es bei der Fusionsenergie um mehr als den Klimaschutz gehe – sie sei inzwischen auch eine geopolitische Waffe, erklärte Roveda. Sie warnte vor den bekannten Folgen energiepolitischer Abhängigkeiten von Russland und anderen Ländern.

Im Unterschied zur Regierung glaubt die Branche allerdings nicht, dass Deutschland so ein Kraftwerk allein stemmen kann. Sie beharrt auf einer europäischen Lösung. Nur so seien die nötigen Lieferketten zusammenzubekommen. Unklar ist dabei, welcher Fusionstechnologie die Zukunft gehört – auf der Basis von Superlasern oder von Supermagneten. Am besten wäre vielleicht, man baue zwei Kraftwerke oder packe beide Technologien in eines, wurde auf dem Berliner Panel ernsthaft erwogen.

Erst mal machen, und ob was fürs Klima herauskommt, das wird man sehen – so klang es auf dem BDI-Kongress. Dort wurde aber auch mit der Klimapolitik der letzten Jahre, wenn nicht des letzten Jahrzehnts abgerechnet. Die Zeiten, als der Spitzenverband der Industrie noch Studien zu durchgerechneten Transformationspfaden vorlegte, sind passé. BDI-Präsident Peter Leibinger forderte ein grundlegendes Umdenken. Die Klimapolitik leide am »fundamentalen Fehler« zu denken, eine kleinteilige staatliche Lenkung und detaillierte Vorgabe des Weges zum Ziel seien die Lösung. Im Fokus auf die Elektrifizierung von allem und in einem De-facto-Verbot anderer Technologien sieht Leibinger weitere Fehler.

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Im Windschatten des BDI-Präsidenten stellten einige Vorstandschefs auch den Sinn bisher akzeptierter marktwirtschaftlicher Klimainstrumente wie des Emissionshandels infrage. Behalte man den CO2-Preis in der heutigen Form bei, werde es die Industrie in Deutschland in der Form nicht mehr geben, sagte etwa Shell-Geschäftsführer Felix Faber.

Derzeit erhält die energieintensive Industrie in Deutschland noch etwa 90 Prozent ihrer CO2-Zertifikate kostenlos zugeteilt. Dennoch gilt Klimapolitik dort inzwischen als eine Art Bleiweste, die man loswerden müsse. Als besonders lästig wird empfunden, dass ab 2039 im EU-Emissionshandel für Energie und energieintensive Industrie keine neuen Zertifikate mehr ausgegeben werden sollen.

BASF-Chef stellt gesetzliche Klimaziele infrage

Viele Wertschöpfungsketten könnten bis dahin nicht dekarbonisiert werden, warnte etwa Markus Kamieth. Der Vorstandschef von BASF, dem nach Umsatz größten Chemiekonzern der Welt, stellte auch die gesetzlichen Klimaziele infrage. Ob Deutschland 2045, 2047 oder im Herbst 2048 CO2-neutral werde, sei egal, erklärte er. Und selbst wenn das in der Bundesrepublik das nie geschehe, mache das keinen großen Unterschied – wichtiger sei, den Hochlauf von Klimatechnologien zu organisieren, forderte Kamieth.

Auf ein Verschieben des Zertifikate-Stopps ließ sich der zum BDI-Kongress zugeschaltete EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra vorerst nicht ein. Die Europäische Kommission werde aber prüfen, ob aus dem aktuellen deutschen Klimagesetz die Regel übernommen werden könne, die Emissionen der einzelnen Sektoren miteinander zu verrechnen. Des Weiteren bekräftigte Hoekstra den Vorschlag, aus den Einnahmen des Emissionshandels eine mit 100 Milliarden Euro ausgestattete EU-Industriedekarbonisierungsbank zu schaffen. Davon werde auch Deutschland einen Nutzen haben, weil sich deutsche Unternehmen künftig um Förderung bewerben könnten.

Deutlicher als die EU gibt das Bundesumweltministerium dem Druck aus der Industrie nach. Deutschland werde sich bei der EU-Kommission dafür einsetzen, die Ausschüttung von Zertifikaten über 2040 hinaus zu verlängern, sicherte Staatssekretär Jochen Flasbarth auf dem Kongress zu. Gegenüber den Industrievertretern räumte er ein, dass der Klimaschutz derzeit unter Druck sei. Das dahinterstehende Problem Klimawandel sei aber nicht weg. Dessen reale Entwicklung bestätigten sogar diejenigen, die ein düsteres Bild zeichneten, betonte der langjährige staatliche Klimaschützer.

Dass die Bereitschaft zum Handeln schwindet, trifft auch auf die deutsche Industrie zu. Sie macht Geschäfte unter dem Label Klima – ob sie dem Klimaschutz nützen oder nicht. Das gilt auch für die Kernfusion: Die Experten des Thinktanks »Energiesysteme der Zukunft« wiesen bereits vor einiger Zeit nach, dass neue Fusionskraftwerke schon deshalb keinen Beitrag zur Klimaneutralität leisten würden, weil sie dafür einfach zu spät kommen. Auch als sogenannte Grundlastkraftwerke werden sie im künftig erneuerbaren Stromsystem nicht gebraucht. Die Fusionsbranche und ihre Geldgeber lassen sich davon nicht beirren: Wenn so ein Kraftwerk erst einmal dasteht, wird es schon einen Zweck haben. Erst mal machen.

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