Unbeachtete Ungleichbehandlung

Verbände kritisieren eine zunehmende Diskriminierung von EU-Bürgern in Jobcentern

»EU-Bürgerinnen und Bürger stehen ausdrücklich nicht unter Generalverdacht, Leistungsmissbrauch zu begehen«, schreibt die Bundesregierung in einer am Dienstagabend veröffentlichten Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion. Der Bundesregierung lägen keine Erkenntnisse über diskriminierendes Verhalten von Familienkassen und Jobcentern gegenüber ausländischen EU-Angehörigen vor. In der Linken-Anfrage ging es vor allem um eine interne Arbeitshilfe, die den »bandenmäßigem Leistungsmissbrauch im spezifischen Zusammenhang mit der EU-Freizügigkeit« bekämpfen soll. Diese Arbeitshilfe wird von zahlreichen Vereine und Organisationen als wesentliche Ursache für eine Verschlechterung der Praxis in den Jobcentern gesehen.

Bereits letzten November hatten sich die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (GGUA) und Tacheles mit einem offenen Brief, den viele weitere Organisationen unterzeichnet hatten, an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gewandt. Sie kritisierten eine zunehmend »strukturell angelegte Ungleichbehandlung« in den Jobcentern aufgrund der Staatsangehörigkeit oder der vermuteten Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder sozialen Gruppe. Als Ursache machen die Unterzeichner des Briefes vor allem diese interne Arbeitshilfe aus. Zudem gebe es seit dem Sommer 2020 »umfangreiche Checklisten«, die zur Diskriminierung beitragen würden. Zwar sei die der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemachte Arbeitshilfe gegenüber den Vorgängerversionen rhetorisch etwas entschärft und wurde besonders offen diskriminierende Formulierungen geändert, die diskriminierende Wirkung aber bliebe die selbe.

Diese führe zu »gezielten Stigmatisierungen« allein aufgrund der Staatsangehörigkeit, einer besonders restriktiven »Sonderbehandlung« im Jobcenter und in vielen Fällen zu einer Leistungsverweigerung trotz Rechtsanspruch. »Die Folge ist in vielen Fällen, dass Leistungen trotz Vorliegens der Voraussetzungen viel zu spät oder gar nicht durchgesetzt werden können«, so die Organisationen in dem Brief. Dadurch drohe nicht selten Wohnungslosigkeit und Verelendung.

Auch eine Mitte März veröffentlichte Studie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen aus dem EU-Ausland bei der Beantragung von Sozialleistungen oder von Kindergeld einer diskriminierenden und zum Teil rechtswidrigen Behördenpraxis ausgesetzt sind. »Ich weiß nicht, ob das, was wir aus den Jobcentern hören, bereits struktureller Rassismus ist. Wenn nicht, ist es auf jeden Fall recht nahe daran«, kommentierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätische Wohlfahrtsverbandes die Studienergebnisse.

Aber nicht nur Verbände und Nichtregierungsorganisationen stellen diskriminierende Praxis innerhalb der Jobcenter fest. So ist etwa im Jahr 2017 ein Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu dem Schluss gekommen, dass Jobcenter und Arbeitsagenturen nicht allen Erwerbslosen die gleiche Unterstützung gewähren. Als Grund wurden einerseits individuelle Ursachen wie offen diskriminierende Einstellungen von den Jobcentermitarbeitenden genannt. Als Hauptursache wurden jedoch auch damals schon »Diskriminierungsrisiken in Verfahrensabläufen« ausgemacht.

Ob die damals noch nicht existente Arbeitshilfe zum »bandenmäßigem Leistungsmissbrauch im spezifischen Zusammenhang mit der EU-Freizügigkeit« diese Diskriminierungsrisiken noch weiter verschärft hat, bleibt auch nach der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage unklar. »Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales muss die Vorwürfe prüfen und seine Aufsichtsmöglichkeiten nutzen, um diskriminierende Praktiken in Bundesbehörden auszuschließen«, fordert Susanne Ferschl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken gegenüber »nd«.

Laut Bundesregierung hat es im Jahr 2020 499 Fälle von »bandenmäßigem Leistungsmissbrauch« gegeben. Diesen Fällen stehen die gegenteiligen und konkreten Erfahrungen zunehmender Diskriminierung gegenüber. »Viele der zumeist ost- und südosteuropäischen Betroffenen schuften hierzulande im Niedriglohnbereich auf dem Bau, in der Paketzustellung oder in der Fleischindustrie«, so Ferschl. »Aber wenn der karge Lohn aufgestockt werden soll, wittern staatliche Stellen plötzlich Missbrauch, wie es im Titel der Arbeitshilfe heißt«, kritisiert sie.

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