Wedding wird Wertanlage

Mieter fordern Ausübung des Vorkaufsrechts nach Kauf durch Mähren AG

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Rund 700 Weddingerinnen und Weddinger haben Angst um ihre Wohnungen, denn der Berliner Häuseraufkäufer Mähren AG des Gründers Jakob Mähren hat zugeschlagen. Es geht um die 1989 errichteten Maxgärten in der Maxstraße 4a bis 4m sowie an der Reinickendorfer Straße 81 und 83 bis 87. Am 15. April erfuhren die Mieterinnen und Mieter vom Verkauf der 184 Wohnungen, am vergangenen Sonntag trafen sich knapp 150 von ihnen digital. Sie wollen für die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Bezirk Mitte kämpfen - denn die Wohnbauten liegen im Milieuschutzgebiet.

»Der Wedding kommt - und das ist kein schlechter Witz mehr«, sagt ein Mieter zu »nd«. Er nennt sich Jan-Ole Vetter, ein Pseudonym, weil ihm aus anderen von der Mähren AG gekauften Häusern von Unterlassungserklärungen durch das Unternehmen berichtet wurde. Dort soll auch auf Aushängen zu lesen gewesen sein, dass »Mobilmachung innerhalb der Mieterschaft ein Kündigungsgrund« sei. Auch »nd« hatte nach der Berichterstattung über einen Fall in Pankow Anwaltspost der Mähren AG erhalten.

»Der ganze Querschnitt unserer Mieterschaft war bei dem Treffen am Sonntag dabei«, berichtet Vetter. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte oder auch in den letzten Jahren Zugezogene, wie er selbst, der seit vier Jahren dort wohnt. »Alle eint, dass sie entschlossen sind, zu kämpfen«, so der Mieter.

»Der Wedding ist nicht mehr die Insel, die ihre Diversität vor der Gentrifizierung schützen kann«, sagt Vetter. Hier drohe nun die Verdrängung, die in Teilen von Kreuzberg bereits abgeschlossen sei. »Die Leidtragenden dieser Entwicklung sind die Mieter*innen, wie hier im Kiez. Gewinner ist meiner Meinung nach Jakob Mähren - und das sollten wir alle, inklusive den Verantwortlichen im Bezirksamt, verhindern« so Vetter.

Die Sorge vor steigenden Mieten ist groß, denn die Mähren AG wird Rendite sehen wollen. Auf das soziale Gewissen des Gründers sollte man nicht zu sehr bauen. »Ist es nicht unfair, dass sich nicht jeder, der sich ein iPhone kaufen möchte, auch tatsächlich ein iPhone leisten kann?«, kommentierte Jakob Mähren vor einigen Jahren im Internetportal wallstreet:online die Forderungen des Mietenvolksentscheids.

Die Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts hat am 29. März begonnen. Nun verbleibt den Mieterinnen und Mieter also noch ein Monat, um einen Käufer zu finden. »Wir sprechen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften an«, berichtet Vetter.

»Wir werden am Mittwoch im Ausschuss bei SPD-Stadtrat Ephraim Gothe nachfragen«, sagt Katharina Mayer zu »nd«. Sie ist Stadtentwicklungsexpertin der Linke in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte.

Verkäuferin des Ensembles ist ein Erbe des Berliner Vermieters Harry Gerlach, dessen kunterbunt angestrichene Häuser im Stadtbild herausstechen. Die Immobilien wurden 2019 wahrscheinlich steuerfrei an die nächste Generation übertragen, »wegen einer fragwürdigen Ausnahme im Erbschafts- und Schenkungsteuergesetz und dessen Auslegung durch die Finanzverwaltung«, heißt es in der Ende 2020 vorgelegten Studie »Wem gehört die Stadt?« der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Erarbeitet hatte sie Steuerexperte Christoph Trautvetter.

»Wir werden die Erben von Harry Gerlach anschreiben mit dem Hinweis, dass sie ihre Immobilien künftig an gemeinwohlorientierte Akteure verkaufen sollen, um die Mieter vor Verdrängung zu schützen«, kündigt Sanrine Woinzeck von der Mieter:innengewerkschaft auf nd-Anfrage an.

Die Weddinger Häuser sollen zu einem größeren Paket gehören, das für rund 60 Millionen Euro verkauft worden sein soll. Für die dazugehörigen Häuser an der Ecke Flughafen- und Hermannstraße in Neukölln ist bereits eine Abwendungsvereinbarung unterzeichnet worden, erklärt der Neuköllner Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne). »Einige Mieter empfinden das als Trostpreis, aber ich freue mich über jede Abwendungsvereinbarung«, so Biedermann zu »nd«.

Jan-Ole Vetter setzt auf den Vorkauf. »Es wird viel über Neubau geredet, aber das ist die Methode mit der man schnell Sicherheit für Mieter bekommt«, sagt er.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal