Zwischen Obama und Trump

Progressive erteilen Joe Bidens Außenpolitik wegen der Fortführung der alten imperialen Hegemoniepolitik die Note »mangelhaft«

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.

»Überraschend«, »erfrischend«, »eine angenehme Überraschung« - so beurteilen progressive und linke Gruppierungen und Prominente in weiten Teilen übereinstimmend die ersten 100 Tage der Biden-Regierung. Weder das Ausmaß wie die Geschwindigkeit, mit denen die neue Regierung nach US-Präsident Donald Trump ihre innenpolitischen Reformvorschläge vorträgt, war zu erwarten gewesen. So manche Linken attestieren Joe Biden und seinem Regierungsteam sogar allzu enthusiastisch, Washington habe sich von der neoliberalen Doktrin der Vorgängerregierungen abgewendet.

Ganz anders sieht es bei der Bewertung der Biden’schen Außen- und Militärpolitik aus. Die linksfeministische Aktionsgruppe »Code Pink« erklärte beispielsweise in ihrem jüngsten Mitgliederrundbrief, von der Pandemiebekämpfung über Infrastrukturpläne bis hin zur Klimapolitik seien die Biden’schen Initiativen vielversprechend. Aber jenseits davon, in der Außenpolitik, sei der Regierung die Note »mangelhaft« auszustellen. Denn wenig habe sich geändert.

Es gebe einerseits mit der Abkehr von einigen der schlimmsten Maßnahmen der Trump-Regierung ein paar Lichtblicke, etwa die Ankündigung, die US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen, die Verlängerung des Start-Abkommens mit Russland, den Wiederbeitritt zum Pariser Klimaabkommen, die Rücknahme der Sanktionen gegen den Internationalen Gerichtshof und die Wiederaufnahme von Hilfeleistungen an Palästinenser*innen. Aber sie würden sich eben auf nur wenig beschränken und seien für sich genommen schon dürftig. Der große Rest bestehe aus Unterlassungsleistungen, gekoppelt mit der Fortführung der alten imperialen Hegemoniepolitik.

Nicht nur »Code Pink«, sondern viele weitere progressive Initiativen weisen dabei auf den US-Militärhaushalt, der seit Jahrzehnten wächst. So schlug Joe Biden Anfang April für das Fiskaljahr 2022 (das diesen Oktober beginnt) neben der Erhöhung nicht-militärischer Ausgaben auf 769 Milliarden US-Dollar auch 753 Milliarden US-Dollar für das Verteidigungsministerium vor. Falls der Kongress zustimmt, wären das 12,3 Milliarden US-Dollar mehr fürs Militär als im laufenden Jahr und ein neuer Rekord. Der demokratische Sozialist Bernie Sanders, der den Haushaltsausschuss des Senats leitet, äußerte demgegenüber »schwere Bedenken«. Die USA gäben bereits mehr für das Militär aus als die nächsten zwölf Staaten zusammengenommen. Es sei überreif, sich die »massiven Kostenüberschreitungen, Verschwendung und Betrug vorzunehmen, die im Pentagon herrschen«, sagte er.

Das seltsame Paar
Der neue US-Präsident Joe Biden und der Sozialist Bernie Sanders gehen pfleglich miteinander um

Sanders bezog sich dabei auf die jüngste Studie des Internationalen Instituts für Strategische Studien. Danach gaben die USA 2020 knapp dreimal so viel Geld für Verteidigung aus als die Rivalen China und Russland zusammen. Das US-Budget war fast viermal höher als das von China (193,3 Milliarden US-Dollar) und mehr als zwölfmal höher als das von Russland (60,6 Milliarden US-Dollar). Zum Vergleich: Nato-Spitzenreiter in Europa waren Großbritannien mit Militärausgaben in Höhe von 61,5 Milliarden US-Dollar, gefolgt von Frankreich und Deutschland.

Die Finanzierung des Militär-Industrie-Komplexes durch den Kongress erfolgt seit 75 Jahren nach dem Schema einer »aufsteigenden Treppe«, wie die linke Haushalts- und Rüstungsexpertin Lindsay Koshgarian »nd« erläuterte. Bei jedem militärischen Konflikt werde das Budget weiter erhöht. In »Friedensphasen« gehe es wieder leicht zurück, »aber es fällt nie wieder auf das Niveau zurück, auf dem es vor dem Konflikt war«. Es stößt dabei unabhängig von der jeweiligen Regierung auf die überwältigende Unterstützung in beiden Parteien und sei »geradezu sakrosankt«. Die Art und Weise, wie die Haushaltsgesetze Jahr für Jahr zustande kommen, ist dabei den Interessen des Militärs und der Rüstungsindustrie angepasst. So befinden sich Ausgabenerhöhungen für das Militär meist im selben Entwurf wie innenpolitische Ausgabenerhöhungen, was militärkritische Abgeordnete und Senator*innen bei Abstimmungen vor ein Dilemma stellt.

Die globale Militärmacht der USA stützt sich auf fast 800 Stützpunkte in über 70 Ländern. US-Spezialeinheiten operierten 2016 in 138 Ländern. Der Außenpolitikexperte John Feffer warnt davor, hinter dem geplanten Abzug aus Afghanistan den Anfang vom Ende »immerwährender US-Kriege« zu sehen. Der »institutionelle Apparat«, so Feffer, bleibe unangetastet. Die Biden-Regierung sei innenpolitisch reformorientiert und setze auf wirtschaftliche Expansion. Gleichzeitig richte sie ihre militärischen Kapazitäten »auf die Herausforderung aus, die China darstellt, und in einem geringeren Ausmaß auf Russland«.

Außen- und militärpolitisch haben Progressive in der Biden-Regierung nichts mitzureden. Mit freundlichen Gesten gegenüber Verbündeten und einer erklärten Konfrontationsbereitschaft gegenüber China und Russland herrscht ein anderer Ton als unter Trump. Aber in der Substanz handelt es sich um die Weiterführung der altgewohnten internationalen Politik, einzuordnen »zwischen Obama und Trump«, wie es jüngst in der »Washington Post« hieß.

Neben dem Militärhaushalt und der Konfrontationsstellung mit China und Russland nannte »Code Pink« Überbleibsel aus der Trump-Ära, die Biden wohl nicht rückgängig machen wird: Sanktionen gegen Länder wie Iran, Venezuela, Nicaragua, Nordkorea und Syrien, massive Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die bedingungslose Unterstützung Israels. Dazu sieht auch die Biden-Regierung keinen Gewinn darin, die Sanktionsverschärfungen und die Blockade von Kuba aufzuheben.

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