Wessen Recht? Und auf was?

Die Rechtskritik gehört zum Marxismus: Ein kurzer Abriss wichtiger Literatur zum Thema

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Einleitung der berühmten »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« von Karl Marx heißt es: »Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.« Die Grenzen des Rechts hatte allerdings Hegel selbst schon in seinen »Grundlinien zur Philosophie des Rechts« aufgezeigt. Das Problem firmiert bei ihm unter dem Namen des »Pöbels«, wie Frank Ruda in seiner einschlägigen Untersuchung aufgezeigt hat. Für wen und für was das Recht im Kapitalismus gilt, das stand aus Sicht einer sich emanzipierenden Klasse und der dazugehörigen Theorie zur Diskussion.

Eigentums- und Rechtsverhältnisse erweisen sich als verschränkt. Ein Klassiker der marxistischen Rechtskritik ist »Allgemeine Rechtslehre und Marxismus. Versuch einer Kritik der juristischen Grundbegriffe« von dem sowjetischen Juristen Jewgenij B. Paschukanis. Das 1929 erstmals auf Deutsch erschienene Werk beleuchtet den Zusammenhang von Warenform und Rechtsform, es wurde in den 1960er Jahren wieder aufgelegt und rege diskutiert.

Als ein wichtiger sozialistisch beeinflusster Rechtstheoretiker der 1920er Jahre gilt Otto Kirchheimer, ein linker Schüler Carl Schmitts, der Deutschland auf der Flucht vor den Nazis verlassen musste und später in den USA wirkte. Seine Kritik der politischen Justiz und sein Werk »Die Grenzen der Enteignung« dürften heute wieder von Interesse sein. Einflussreich bis heute ist der Text »Zur Kritik der Gewalt« von Walter Benjamin, eine revolutionäre Kritik der Staatsrechtsdebatte der Weimarer Republik zwischen dem Rechtspositivismus Hans Kelsens und der Souveränitätslehre Carl Schmitts.

In den 1970er Jahren war der Text »Ideologie und ideologische Staatsapparate« des französischen Marxisten Louis Althusser prägend für die Debatte über Staat und Recht. Er stellte die Anrufung des Subjekts, also die Unterwerfung durch eine Subjektivierung, in den Mittelpunkt seiner Analyse. Einen Überblick über die westdeutsche Debatte bietet der 1975 von Hubert Rottleuthner herausgegebene Band »Probleme der marxistischen Rechtstheorie«, unter anderem mit einem Beitrag von Oskar Negt.

Ebenfalls für die Bundesrepublik ist für die kritische Theorie des Rechts insbesondere die Frankfurter Professorin Ingeborg Maus zu nennen, die unter anderem die Rechtslehre des Nazi-Juristen Carl Schmitt kritisierte und zu bürgerlicher Rechtstheorie, Faschismus und zur Demokratietheorie forschte. Zuletzt erschien 2018 von ihr das Buch »Justiz als gesellschaftliches Über-Ich. Zur Position der Rechtsprechung in der Demokratie«.

Insbesondere in den USA entstanden ab den 1970er Jahren die Critical Legal Studies, welche die Rechtskritik an den Universitäten institutionalisierten. Im Zuge dessen entwickelten sich als wissenschaftliche Teildisziplinen auch eine feministische und eine antikoloniale Rechtskritik, einen Überblick bieten beispielsweise »FrauenRecht. Eine Einführung in feministisches Recht« von Tove Stang Dahl und der Sammelband »Dekoloniale Rechtskritik und Rechtspraxis«, herausgegeben von Karina Theurer und Wolfang Kaleck.

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Eine dekonstruktivistische Rechtskritik wurde beispielsweise von Jacques Derrida in seinem Buch »Gesetzeskraft« vertreten. Zur Systematisierung der Äußerungen zum Recht bei Marx selbst ist vor allem Andrea Maihofers »Das Recht bei Marx: Zur dialektischen Struktur von Gerechtigkeit, Menschenrechten und Recht« hervorzuheben. Aktuell arbeitet der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano zur Rechtskritik - wie seine Publikation »Rechtskraft« zeigt.

Drei weitere Veröffentlichungen der jüngeren Zeit sind Daniel Loicks »Juridismus: Konturen einer kritischen Theorie des Rechts« von 2017, Christoph Menkes »Kritik der Rechte« von 2018 und Katharina Pistors 2020 auf Deutsch erschienenes Buch »Der Code des Kapitals: Wie das Recht Reichtum und Ungleichheit schafft«. Eine fundierte Einführung in das gesamte Thema bietet Stefan Krauths »Kritik des Rechts«.

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