Nicht immer nur Russland

Birger Schütz zur ukrainischen Kritik am linken Russlandantrag

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 2 Min.

Er ist angriffslustig, scheut die Medien nicht und pfeift auf diplomatische Zurückhaltung: Die Interessen seines Landes vertritt Andrij Melnyk mit Nachdruck. Auch schrille Töne scheut der ukrainische Botschafter in Deutschland nicht und drohte jüngst mit atomarer Aufrüstung, sollte man die Ukraine nicht in die Nato lassen. Nun hat Melnyk wieder zugelangt.

Der Antrag zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, in dem die Linken-Bundestagsfraktion Entspannung gegenüber Moskau sowie einen Freundschaftsvertrag mit Russland fordert, sei »Geschichtsklitterung«, empörte sich der Diplomat. Der Grund: Andere Ex-Sowjetrepubliken wie die Ukraine und Belarus würden nicht erwähnt. Dies sei eine »herabwürdigende Instrumentalisierung« der Geschichte und ein »Schlag ins Gesicht der Millionen ukrainischen Opfer des Vernichtungskriegs«.

Zugegeben: Melnyks Replik ist polemisch - und doch lenkt sie die Aufmerksamkeit auf einen Schwachpunkt des Linken-Antrages. In diesem führt eine direkte Argumentationslinie vom 80. Jahrestag des deutschen Überfalls über 27 Millionen getötete Sowjetbürger hin zur Forderung einer Verständigung mit Russland. Doch es ist komplexer. Ohne jeden Zweifel war Russland der große Leidtragende des deutschen Vernichtungskrieges.

Ebenso wahr ist: Hauptschauplatz des Feldzugs waren Belarus und die Ukraine, welche in dem Antrag anonym und summarisch als Ex-Sowjetrepubliken abgehandelt werden. 86 Prozent der gesamten Dauer des sowjetischen Kriegs gegen Nazideutschland spielten sich in der Ukraine ab, bis zu zehn Millionen Ukrainer verloren dabei ihr Leben.

In Belarus starben drei Millionen Menschen. Gemessen am prozentualen Anteil der Bevölkerung sind das die höchsten Verluste einzelner Republiken. Bemüht man den 80. Jahrestag des deutschen Überfalls also als Anlass für Verständigungsoffensiven, darf man bei Moskau nicht stehenbleiben. Belarusen und Ukrainer verdienen mehr linkes Interesse.

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.