Zahlen die Rentner zu viel Steuern?

Richtungsweisendes Verfahren am bundesfinanzhof zur Doppelbesteuerung

  • Ralf ISERMANN
  • Lesedauer: 5 Min.

Diese Frage, ob ein Teil der 21 Millionen Rentner in Deutschland zu viele Steuern zahlt, versuchte der Bundesfinanzhof in zwei am 19. Mai 2021 mündlich verhandelten Verfahren zu klären. Die Entscheidung hat weitreichende Folgen und wird am 31. Mai 2021 erwartet. Der Bundesfinanzhof verspricht eine faire Besteuerung. Dazu nachfolgend Fragen & Antworten.

Worum geht es konkret?

Viele Rentner fühlen sich vom Staat doppelt besteuert und damit verfassungswidrig behandelt. Alleine wegen dieses Vorwurfs laufen gegenwärtig 142 000 Verfahren vor den deutschen Finanzgerichten.

Was ist eine Doppelbesteuerung?

Von Doppelbesteuerung wird gesprochen, wenn die im Erwerbsleben aus bereits versteuerten Einkommen gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung später noch einmal in der Auszahlungsphase besteuert werden und letztlich die Beiträge höher waren als der steuerfreie Teil der Renten.

Wen betrifft das Problem?

Neben den bereits vor Gericht gezogenen 142 000 Rentner*innen kann das Phänomen für immer mehr Neurentner relevant werden. 2005 wurde das System umgestellt mit einer langen Übergangsfrist bis ins Jahr 2040, die in jedem Jahr stärker wirkt. Das heißt, jedes Jahr wird der steuerpflichtige Teil der Rente größer. Damit dürfte auch der Anteil der von dem Problem betroffenen Selbstständigen wie Arbeitnehmern steigen.

Worum geht es im ersten Verfahren vor dem Bundesfinanzhof?

Kläger sind ein Zahnarzt und dessen Frau. Der Mann ging 2009 in den Ruhestand und hat seitdem Anspruch auf eine gesetzliche Rente, eine für Selbstständige gedachte Rürup-Rente und rund 20 private Renten. Er wirft dem Finanzamt vor, ihn doppelt zu besteuern. Für das Klagejahr 2009 will er 860 Euro zurück.

Was macht diesen Fall nunmehr zum Modellfall?

Bei dem Zahnarzt stellte das Finanzamt tatsächlich für das Jahr 2009 eine Doppelbesteuerung fest. Diese betrug gut hundert Euro. Angesichts einer Summe von fast hunderttausend Euro, auf die der Mann Einkommensteuer zahlen musste, sah das Finanzamt diesen Betrag angesichts des großen Steuervolumens des Mannes aber als Bagatelle an und behielt den zu viel gezahlten Steuerbetrag von 100,21 Euro wegen Geringfügigkeit ein. Die Frage ist also, ob der Bundesfinanzhof eine solche Bagatellgrenze zieht. Eine Bagatellgrenze gibt es bisher nicht. Ob der Finanzhof diese nun feststellen wird, ist noch unklar. Offen ist dabei, ob das Gericht überhaupt zu dem Ergebnis kommt, dass hier eine Doppelbesteuerung vorlag. Nur dann müsste sich der Bundesfinanzhof zur Bagatellgrenze äußern. Diese wiederum könnte dann aber für alle Rentner*innen relevant werden.

Auch die Frage, ob die Rürup-Rente mit der staatlichen Rente steuerlich gleichgestellt wird, könnte in diesem Verfahren modellhaft geklärt werden.

Worum geht es im zweiten Verfahren vor dem BFH?

Hier sind ein Steuerberater und dessen Frau Kläger. Der Mann zahlte zunächst gesetzlich und später freiwillig privat in die staatliche Rentenversicherung ein und muss die Rente nun versteuern. Er kritisiert, die Beiträge aus bereits versteuertem Einkommen gezahlt zu haben und nun mit einem Ansatz eines steuerpflichtigen Anteils der Rente von 54 Prozent einen zu hohen Anteil versteuern zu müssen.

Was macht diesen Fall nunmehr zu einem Modellfall?

Bei dem Steuerberater stellen sich viele Fragen, die einen großen Teil der Rentner betreffen können. Dabei geht es unter anderem darum, wie diverse Steuerfrei- und Pauschbeträge angesetzt werden oder Beiträge etwa zur Krankenversicherung. Es geht in diesem Verfahren also darum, ob der Grundfreibetrag oder die Krankenversicherungsbeiträge bei der Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente berücksichtigt werden müssen oder nicht. Der Bund der Steuerzahler wirft dem Bundesfinanzministerium vor, dies von den Finanzämtern zuungunsten der Rentner ansetzen zu lassen.

Was könnte der Bundesfinanzhof mit seinem Urteil ändern?

Der Bundesfinanzhof könnte eine Entscheidung treffen, ob es eine Bagatellgrenze gibt und wo sie liegt. Ob er das tut, ist offen. Eher zu erwarten ist, dass das oberste Steuergericht für viele der Einzelfragen Vorgaben macht, die dann von den Finanzämtern jeweils auf den einzelnen Steuerfall angewandt werden müssen.

Wie sind die bisherigen Reaktionen aus dem Bundesfinanzministerium?

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Verfahren hat sich das zuständige Ministerium zuordnen lassen. Der Leiter der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums, Rolf Möhlenbruck, sagte als Prozessvertreter, dem Ministerium sei »an einer fairen Besteuerung und Ausrichtung des Systems« gelegen. Sollte es an irgendeiner Stelle drücken, würden Korrekturen vorgenommen.

Er erhoffe sich entsprechende rechtliche Hinweise durch den Bundesfinanzhof. »Wir wollen eine faire Besteuerung der Rentner. Da soll keiner in Übermaß in Anspruch genommen werden«, kündigte der Prozessvertreter Möhlenbrock an.

Wann fällt eine definitive Entscheidung?

Der Bundesfinanzhof hat angekündigt, am 31. Mai über beide Verfahren zu entscheiden. Der Bundesfinanzhof hat dabei unterschiedliche Möglichkeiten. So könnten die Verfahren abgewiesen werden, dann wären die Finanzämter bestätigt. Es könnten aber auch neue Rechenwege für die Besteuerung vorgegeben werden. Oder es könnten auch weitergehende Abklärungen etwa durch das Bundesverfassungsgericht nötig werden.

Sollte der Bundesfinanzhof die bisherigen Regelungen ändern, könnte das zu Zahlungen an etliche Rentner*innen und in der Folge zu Milliardenbelastungen des Bundeshaushaltes führen. Eine finanzielle Rückstellungen hat der Bund dafür bisher nicht vorgenommen.AFP/nd

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