Neue Würde für gefallene Engel

Ballhaus Ost: Wie so viele andere Ostvereine ist auch der BFC Dynamo auf der Suche nach seiner verlorenen Würde

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Freunde des unterklassigen Fußballs wackelten über Pfingsten den Jubeltanz. Indes Hansa Rostock und Dynamo Dresden den Aufstieg in die 2. Bundesliga schafften, schoss Herr Professor Doktor Doktor Kruse den 1. FC Union Berlin in die Conference League. Was für eine Freude im Berliner Vorort!

Conference League? Das ist der dritte internationale Wettbewerb der Uefa, der ab kommender Saison die Augen der Fußballreisenden möglicherweise zum Leuchten bringt. Das Finale findet im fantastischen Tirana statt, allein das sollte schon höchster Grund für Union Berlin sein, erfolgreich zu spielen. Paris, London und Madrid kann jeder. Nun aber ist die Chance groß, durch verwunschene Städte Osteuropas tigern zu dürfen. 1968 stoppte Union der Prager Frühling schon vor den erhofften Europapokalreisen. 2001 erlaubte sich dann ein bulgarisches Team, die Berliner aufzuhalten.

Nun muss Union nur die Qualifikation zur Gruppenphase packen und ein Reigen exquisiter Orte öffnet seine Pforten. Welcher wahre Fußballfan möchte nicht Sparta Prag tunneln, vor Legia Warschau fliehen, bei Hajduk Split baden gehen, von Partizan Belgrad besiegt werden? Das sind allesamt wundervolle Klubs, die vor der Zeit des kapitalistischen Raubtierfußballs große Mannschaften waren. Ich liebe diese Liga jetzt schon, denn sie gibt den gefallenen Engeln etwas von ihrer Würde zurück.

Auf der Suche nach seiner verlorenen Würde ist auch der BFC Dynamo. Und das schon seit mehr als 30 Jahren. Am Sonnabend fanden diese Berliner Fußballer zumindest ein halbes Stück Ruhm. Tatsächlich boxte, kniff und kampelte der BFC im Halbfinale des Berliner Pokals den Drittliga-Aufsteiger Viktoria 89 in die Fußballferien. Ich war Zeuge dieses ansehnlichen Fußballkampfes, der neben mir und meiner schicken Begleiterin sieben BFC-Verantwortliche und einige Viktorianer als Zuschauer sah. Endlich wieder im Stadion! Zwei weiße alte Männer vom Berliner Fußballverband (Katja Kraus for DFB-Präsidentin!) als Beilage sollten dem Spiel offenbar Größe verleihen. Nun ja, jeder tut, was er kann. Vor dem Stadion feuerten noch ein paar Dutzend BFC-Fans ihre Jungs an. Sie hielten sich dabei an die Coronaregeln.

Ein schönes Bild, das wir am Wochenende in und vor vielen anderen Stadien deutschlandweit ganz ähnlich sahen: nicht immer ganz regelgerecht, aber verständlich.
Die Berliner Polizei hielt sich beim BFC übrigens unerwartet einsichtig zurück, eine solide Leistung von Team Green. Bei der kleinen Party im reichen, aber öden Lichterfelde mussten höchstens ein paar Einhörner dran glauben, als die BFC-Gemeinde sang und tanzte. Nächsten Sonnabend kommt es dann im Mommsenstadion zum Finale zwischen BFC und BAK, ich werde dort sein und mich heimlich im Casino dem Zapfhahn nähern.
Nach dem Halbfinale war ich zackzack vom Lichterfelder Vorort zurück an den heimatlichen Herd in Berlin-Mitte geeilt. Schließlich wollte ich noch den Heroen Lutz (Lindemann) im Duett mit Florian (Weichert) im rüstigen Rentnersender MDR vom Aufstieg der Rostocker zwitschern hören. Was für ein befruchtendes Palaver, als wären die beiden seit Jahren ein liebes Paar! Muntere Spruchweisheit vereinigte sich mit höchster Nähe zu Spielern und Fans gleichermaßen. Ihr Fußballfühler, eure Muttermilch war reines Lederfett! Der MDR täte gut dran, diesen beiden ehemaligen Kickern sofort einen Vertrag für die neue Saison anzubieten.

Ich wünsche uns allen, natürlich streng symbolisch: Friede den Hütten, Krieg den Palästen. Und begebe mich sogleich mit einem dreifachen Sport frei! in den guten, alten Sommerschlaf der Unvernunft.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal