Wachsende Ungleichheit bremst Aufschwung aus

Weil es mit dem Konsum weiter hapert, wird die hiesige Wirtschaft laut der OECD erst Ende des Jahres das Vorkrisenniveau erreichen

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind häufig Sätze, die beiläufig fallen und harmlos wirken, die aber tief blicken lassen: »Der Konsum wird durch einen Rückgang der aktuell hohen Ersparnisbildung gestützt werden. Aufgrund der Konzentration der zusätzlichen Ersparnisbildung auf hohe Einkommensgruppen mit einer niedrigen marginalen Konsumneigung ist jedoch nur mit einer allmählichen Normalisierung zu rechnen«, heißt es in dem am Montag veröffentlichten Wirtschaftsausblick der Industriestaatenorganisation OECD für Deutschland.

Während sie für die größten 20 wichtigsten Volkswirtschaften der Welt, die G20, mit einem Wirtschaftswachstum für dieses Jahr von 5,8 Prozent rechnet, glaubt sie, dass das hiesige Bruttoinlandsprodukt (BIP) um lediglich 3,3 Prozent steigen wird. Damit wird Deutschland bis Ende des Jahres brauchen, um wieder auf Vorkrisenniveau zu kommen.

Dies passt zur These des französischen Sozialwissenschaftlers Thomas Piketty, dass wachsende Ungleichheit mit einem geringeren Wirtschaftswachstum einhergeht. Denn wenn die Masse kein Geld zum Ausgeben hat, dann wird sie mit ihrem Konsum auch nicht die Wirtschaft ankurbeln können. Gleichzeitig verhindert die Pandemie weiterhin häufig, dass die Menschen ihr Geld beim Shoppen, Restaurantbesuch oder im Urlaub ausgeben.

Zwar berechnete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dass die Ungleichheit hierzulande aufgrund der Corona-Pandemie zurückgegangen ist, weil von Einkommensverlusten besonders Selbstständige betroffen waren, die »vor allem in der oberen Hälfte der Einkommensverteilung zu finden sind«. Doch andere Studien gehen vom Gegenteil aus. So kommt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) anhand von Befragungen zum Schluss, dass vor allem einkommensschwache Haushalte in der Pandemie weniger Geld zur Verfügung haben. Auch das Statistische Bundesamt konstatierte in seiner Mitteilung zur Entwicklung des BIP vergangene Woche, dass die Arbeitnehmerentgelte Anfang des Jahres um 0,4 Prozent gesunken, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um vier Prozent gestiegen seien. Auch dies spricht für eine gestiegene Ungleichheit.

Nicht nur hierzulande, sondern auch global steigt die Ungleichheit. Die Hilfsorganisation Oxfam spricht vom »Ungleichheitsvirus« Corona, die OECD warnt trotz ihrer angehobenen Prognose für die Weltwirtschaft, dass insbesondere ärmere Länder noch Jahre brauchen werden, um sich von der pandemiebedingten Krise zu erholen: »Teilweise hat die erhebliche Kreditaufnahme im Ausland, mit der der Schlag abgefedert werden sollte, die Herausforderungen verstärkt, die bereits vor der Krise wegen der hohen Staats- und Unternehmensverschuldung bestanden.« Es bedürfe einer stärkeren internationalen Zusammenarbeit, um die Anstrengungen der G20 zur Lösung der Schuldenprobleme von Schwellen- und Entwicklungsländern fortzusetzen.

Gleichzeitig gibt es Länder wie die USA, die eine größere Ungleichheit aufweisen als Deutschland, aber laut OECD dieses Jahr mit 6,9 Prozent weitaus schneller wachsen werden. Doch US-Präsident Joe Biden hat gerade erst ein 1,9 Billionen US-Dollar schweres Konjunkturpaket auf den Weg gebracht. Dadurch weitet die Regierung ihren Staatskonsum weit stärker aus als die Bundesregierung, was wiederum Auswirkungen auf die Konjunktur hat. Zudem impfen die USA schneller. Während hier bisher pro 100 Einwohner 90 Vakzindosen verabreicht wurden, sind es hierzulande lediglich 54. Die Folge: Die USA können die Pandemie schneller hinter sich lassen.

So sind laut der OECD ein weiteres Aufflammen der Pandemie sowie neue Virusmutanten ein Risiko für die globale Wirtschaft. »Solange weite Teile der Weltbevölkerung nicht geimpft sind und neue Infektionsausbrüche drohen, wird die Konjunkturerholung uneinheitlich verlaufen und anfällig für Rückschläge bleiben«, schreibt die Organisation dazu in ihrem Ausblick. Auch hier birgt die Ungleichheit ein Risiko, da arme Länder bisher kaum Zugang zu Corona-Impfstoffen haben. Laut der OECD sind deshalb stärkere internationale Anstrengungen erforderlich, »um die Niedrigeinkommensländer mit den Ressourcen auszustatten, die sie benötigen, um ihre Bevölkerung zu impfen - zu ihrem eigenen Nutzen und zum Nutzen der ganzen Welt«.

Denn wenn es keiner Kontaktbeschränkungen mehr bedarf, können die Menschen auch wieder beim Shoppen, Essengehen oder im Urlaub ihr Geld ausgeben - insofern sie genug dafür haben. Doch die OECD sieht eben beim Konsum für die Bundesrepublik noch schwarz. Hierzulande werden die Privatausgaben dieses Jahr um 0,3 Prozent sinken, schätzt sie. Beim Bundeswirtschaftsministerium ist man jedoch optimistischer und erwartet einen Anstieg von 0,8 Prozent. Auch Sebastian Dullien, Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, teilt den Pessimismus der OECD nicht. Ihm zufolge haben die Menschen hierzulande 100 Milliarden Euro in der Coronakrise gespart. Davon werde »einiges abfließen«, wenn weiter gelockert wird.

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