Viva la Defa (4): »Feierabend«

  • Lesedauer: 3 Min.

»Feierabend« war 1964 der »weltbeste Dokumentarfilm«, wie das Britische Filminstitut erklärte. In 27 Minuten zeigt Regisseur Karl Gass, was nach der Arbeit in der »Taiga«, wie die Arbeiter sagen, passiert. Gearbeitet wird auf einer Großbaustelle für das Erdölkombinat, »wo man Sand statt Kohle verbrennt / wo man kennt weder Strauch noch Bäume / das ist Schwedt, Stadt meiner Träume«, reimt einer von ihnen in der Kneipe und setzt das Bierglas an - »meine Herren, es ist noch Suppe da!«.

Am Anfang des Films schwingen sich Arbeiter auf Motorräder, als wären es wilde Pferde und sie die Cowboys, die die Freiheit am Horizont suchen. Sie knattern raus aus dem Wald. Wie im Western oder im Eastern oder eben im Dokumentarfilm der DDR. Karl Gass war der Nestor des Genres, er hatte bei der Defa eine Künstlerische Arbeitsgruppe, die hieß erst nach ihm und trug dann den schönen Namen »Effekt«. Soll ein Film ein Gedicht oder eher eine Faust sein? Das waren damals die Fragen. Gass war für die Faust, denn er war Kommunist, aber er wusste auch, das ein Film ein Kunstwerk ist und keine Abfilmerei für die Phrasenplanerfüllung.

»Die einen stürmen die Höhen der Kultur, die anderen machen sich endlich mal wieder Bratkartoffeln«, spricht Gass aus dem Off und man sieht die Arbeiter in Baracken strömen, da drin wird viel getrunken, auch getanzt und gezockt, »das wird manchen Pantoffelheldenspielern nicht gefallen«, ist sich Gass sicher. Und weil Film Kunst ist, montiert er die Bilder mit dem Ton, klassische Musik wechselt mit Jazz und Dialogen. Und natürlich Schlager: Zum Akkordeon wird mit Löffeln der Rhythmus geklopft und es wird gesungen: »Jim, Jonny und Jonas, die fahren an Java vorbei, / Jim, Jonny und Jonas, die fahren direkt nach Hawaii… doch nirgends leuchten die Sterne der Liebe so schön.«

In der Kneipe ist Selbstbedienung, serviert wird nicht. Außerdem gibt es eine richtige Tanzveranstaltung im großen Saal, zu leichter Musik wird schwer getwistet. Gass zeigte die Band vorher noch beim Üben. Und auch eine Kabarettgruppe, die ihren eigenen Mackie-Messer-Song probt. Gegen das Profitstreben, für das Kollektiv: »Der Haifisch, der hat Zähne, / doch die fressen uns nicht mehr / unsere dreckverschmierten Kerle haben die Macht und noch viel mehr«. Und diese Kerle sieht man dann ihre Hosen nähen und sich die Haare waschen.

Es wird auch gemalt in einem Kurs. Industrieschornsteine, gut getroffen. Aber bei den Blumenbildern, besonders bei der Chrysantheme, da seien noch »unklare Sachen«, sagt der Kunstlehrer. Die genaue Kunst des Karl Gass, der bei der Defa die wichtigen Leute wie Volker Koepp, Jürgen Böttcher oder Gitta Nickel ausgebildet hat. Mit Nickel war er zeitweise verheiratet. »Wir waren skeptisch und aufmüpfig, unangepasst und chaotisch, eitel und selbstbewusst. Vielleicht hat Karl Gass gerade das gefallen: ohne seine schützende Hand hätte wohl keiner von uns das erste Semester überstanden«, hat Konrad Weiß geschrieben. cm

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