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Von Multi-Kulti reden reicht nicht
Marie Frank über strukturelle Ausgrenzung von Geflüchteten in Berlin
Seit dem Sommer der Migration hat sich in Berlin einiges getan. Geflüchtete müssen nicht mehr tagelang auf den Straßen campieren, um sich registrieren zu lassen. Sie müssen auch nicht mehr in Turnhallen oder anderen Notunterkünften übernachten. Dennoch treffen Migrant*innen in der Hauptstadt tagtäglich auf viele Hindernisse. Das hat sich insbesondere in der Pandemie gezeigt: Denn auch wenn sich die Qualität der Unterbringung verbessert hat, muss der Großteil der Schutzsuchenden über viele Jahre in Massenunterkünften leben - und das, obwohl rund 10.000 von ihnen längst als Flüchtlinge anerkannt sind und ein Anrecht auf eine eigene Wohnung hätten. Die Zwischenlösung ist längst zum Dauerzustand geworden und ein Ende ist nicht in Sicht. Helfen könnte hier eine Flüchtlingsquote für Wohnungsunternehmen - doch stattdessen wird vielen sogar der Wohnberechtigungsschein verweigert, um nicht-geflüchtete Sozialhilfeempfänger*innen und Geringverdiener*innen nicht zu verärgern. Denn bereits ohne die Einbeziehung von Flüchtlingen kommt in Berlin auf eine WBS-Wohnung ein Vielfaches an Berechtigten. Doch marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen hat noch nie jemandem geholfen, im Gegenteil.
Nicht alle Probleme in der Flüchtlingspolitik kann Berlin im Alleingang lösen. Geht es um die Aufnahme oder auch um Abschiebungen, kann sich der rot-rot-grüne Senat nicht einfach über bundesgesetzliche Regelungen hinwegsetzen. Aber er kann seine Spielräume stärker nutzen. So könnte Betroffenen von Kettenduldungen oder illegalisierten Menschen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Auch könnte die Verpflichtung von Angestellten im öffentlichen Dienst, Informationen über illegalisierte Personen an die Ausländerbehörde weiterzugeben, abgeschafft werden. Eine anonyme Gesundheitskarte für ärztliche Behandlungen könnte allen Menschen den Zugang zum Gesundheitssystem eröffnen. Der liberale Multi-Kulti-Diskurs und die Selbstbezeichnung als sicherer Hafen allein reicht nicht, es muss auch konkret mehr für die Betroffenen getan und strukturelle Ausgrenzung beseitigt werden.
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