Leben wie auf einer Bombe

Perspektive Deutsches Kino:»Instructions for Survival« ist das Porträt eines trans Mannes in Georgien

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wackelige Bilder. Menschen, die Parolen skandierend durch eine Straße rennen. »Ihr werdet verflucht sein«, ruft ein Mann in Richtung eines Reisebusses, der mitten im Tumult steht. »Ihr bringt Schande über uns«, schimpft eine Frau und fuchtelt mit den Armen. Auf einem Schild sind die Worte zu lesen: »Stoppt die Verbreitung homosexueller Propaganda.«

Die Bilder von dieser Demonstration in Georgien, mit denen Yana Ugrekhelidze in ihren Dokumentarfilm »Instructions for Survival« einsteigt, helfen zu verstehen, in welchem gesellschaftspolitischen Klima ihre Protagonist*innen Sasha und dessen Frau Mari leben. Immer, wenn er auf die Straße gehe, überfalle ihn ein Gefühl der Anspannung, erzählt Sasha. »Du versuchst, vorsichtig und ruhig zu leben, aber du sitzt auf einer Bombe, die jeden Tag explodieren könnte.«

Diese Bombe ist das Wissen darum, dass Sasha auf dem Papier eine Frau ist. Er ist trans - und besorgt sich in Ermangelung anderer Möglichkeiten illegal Testosteron für seine Transition. Von Fremden wird er als Mann gelesen, doch seine Dokumente sind noch immer auf einen weiblichen Namen ausgestellt. Das bringt verschiedene Probleme mit sich - unter anderem, dass er keinen legalen Job aufnehmen kann. Seit Jahren war er nicht beim Arzt, weil er auch dort Diskriminierungen fürchtet.

Die Kamera begleitet Sasha, wie er in der Dämmerung durch die Straßen der Stadt geht, Obst kauft und telefoniert. »Was ist mit dem Zeug? Hast du was gefunden?«. Die trans Community tauscht sich aus, welche Apotheken Hormone unterm Ladentisch verkaufen.

Yana Ugrekhelidze zeigt in ihrem Dokumentarfilm, der am Sonntag auf der Berlinale in der Perspektive Deutsches Kino Premiere feierte, wie dramatisch die Lage für Sasha ist, der als trans Person in Georgien keine Chance hat, legal und gesellschaftlich akzeptiert seine Geschlechtsidentität zu leben. Die Regisseurin erzählt auch, wie lebenswichtig enge, herzliche Bindungen zu anderen Menschen und deren Solidarität sind. Von seinen Eltern wird Sasha nicht akzeptiert, aber seine Tante hält zu ihm. Genauso wie seine Frau Mari, deren Familie die Beziehung ebenfalls ablehnt.

Ugrekhelidze schafft es, in nur 72 Minuten eine sehr dichte, berührende und intime Geschichte zu erzählen, bei der das große Ganze nicht aus dem Blick gerät. Es ist ein Film über die politische Situation für trans Menschen, aber auch ein Film über eine Liebe, die durch die widrigen Bedingungen in Frage gestellt wird. Sasha und Mari lassen die Regisseurin tief in ihr Leben und in ihre Gefühlswelten blicken. Die Zuschauer*innen erleben die beiden und ihre Familie in Alltagssituationen, aber auch in Momenten der Zärtlichkeit, des Konflikts und der Verzweiflung.

Die Regisseurin stammt selbst aus Georgien, wurde 1984 in Tiflis geboren, hat erst einen Abschluss als Übersetzerin gemacht und später an der Kunsthochschule in Köln Film und Animation studiert. Ihr Di᠆plomfilm »Armed Lullaby« wurde 2019 bei der Berlinale in der Sektion Generation gezeigt. Ihr Langfilmdebüt »Instructions for Survival« ist einer dieser Filme, bei denen man denkt: Die Situation ist so schlimm, was soll jetzt noch passieren? Und dann kommt es noch schlimmer. Maris Bauch wächst, sie erwartet ein Kind, scheint glücklich und verliebt zu sein. Sasha streichelt ihren Bauch und spürt, wie das Kind sich bewegt. Doch dann spricht Mari darüber, wie sie es schaffen wird, sich von dem Leben zu trennen, das gerade in ihr heranwächst. Sie wird das Kind direkt nach der Geburt abgeben müssen, denn es ist nicht ihr eigenes. Mit der Leihmutterschaft will sie Geld verdienen, damit Sasha und sie das Land verlassen können.

Trotz dieser düsteren Lage zeigt der Film auch, wie zwei Menschen unermüdlich für ihre Zukunft kämpfen - auch wenn sich manch eine Entscheidung im Nachhinein als Fehler entpuppt. Das Wort »Survival« im Titel ist kein Sarkasmus. Denn Sasha und Mari machen weiter.

»Instructions for Survival«. Deutschland 2021. Regie: Yana Ugrekhelidze, Termin: 15.6., 21:45 Uhr Freiluftkino Friedrichshagen

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