Neue Regierung mit Verfallsdatum

Israels Ministerpräsident Naftali Bennett zeigt sich machtbewusst und präsentiert sein Kabinett

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Öffentlichkeit versuchte die neue israelische Regierung, ein Bild des geordneten Übergangs zu vermitteln. Doch hinter den Kulissen herrschte am Montag Chaos: Nach zwölf Jahren und 75 Tagen hat Benjamin Netanjahu das Amt des Ministerpräsidenten an Naftali Bennett abgeben müssen; das hatte sich seit mehr als einer Woche abgezeichnet. Netanjahu betonte immer wieder, nur er könne Israels Gegner*innen die Stirn bieten, und sein Team unternahm nichts, um einen geordneten Übergang zu gewährleisten. Weil die Familie Netanjahu weiterhin in der offiziellen Residenz wohnt, hatte Bennett nach seiner Vereidigung bis Montagnachmittag keine sicheren Kommunikationswege zur Führung des Sicherheitsapparats; das Übergabegespräch zwischen dem neuen und dem alten Amtsinhaber war kurz. Einst war Bennett Netanjahus Büroleiter; heute haben sich die beiden nichts mehr zu sagen.

Israels neue Regierung startet also unter noch schwierigeren Bedingungen, als dies ohnehin erwartet worden war. Die Koalition, die sich von der linken Arbeitspartei bis zu Bennetts rechter Partei Jamina erstreckt, scheint kaum überlebensfähig, so unterschiedlich sind die Ideologien und Forderungen der beteiligten Fraktionen. Und dennoch übt sie für viele Israelis derzeit einen großen Reiz aus: Unmittelbar nach der Vereidigung fanden sich in Jerusalem Tausende zu einer Freudendemonstration zusammen. Ihnen ging es nicht nur um Netanjahu, der einen Großteil seiner Amtszeit mit Skandalen und Korruptionsermittlungen von sich reden machte: Die neue Koalition bildet viele der Gesellschaftsgruppen im Land ab.

So werden sich der rechte Bennett und der zentristische Jair Lapid, der zunächst Außenminister wird, im Amt des Regierungschefs abwechseln. Benny Gantz, ebenfalls im Zentrum verortet, bleibt Verteidigungsminister. Finanzminister wird der rechte Avigdor Lieberman, der für eine strikte Trennung von Staat und Religion eintritt. Gesundheitsminister ist nun der in einer gleichgeschlechtlichen Ehe lebende Nitzan Horowitz. Und Merav Michael von der Arbeitspartei leitet künftig das Transportministerium. Gideon Saar, ein Konservativer, steht der Justiz vor.

Immer wieder betonten alle Regierungsparteien, dieses Kabinett sei »auf Freundschaft und Vertrauen« gebaut. Aber gerade deshalb ist nicht zu erwarten, dass der Friedensprozess mit den Palästinenser*innen wieder angekurbelt wird - ebenso wenig, wie eine Ausweitung der Siedlungen in Aussicht steht. Eine neue Verhandlungsrunde ist aber nicht völlig unwahrscheinlich: Es waren in der Vergangenheit immer rechte Ministerpräsidenten, die die weitreichendsten Zugeständnisse gemacht haben. Bennett wirkt zwar, als sei er zufällig in das Amt gekommen. Tatsächlich gab es aber eine sorgsam orchestrierte Kampagne seines Teams. Der Politiker, der in der Privatwirtschaft Millionen verdient hat, lässt keinen Zweifel daran, dass er an der Spitze bleiben will.

Sehr verhalten äußerte sich der palästinensische Präsident Mahmud Abbas: Die Regierungsbildung sei eine interne Angelegenheit Israels, ließ er mitteilen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und eine große Zahl westlicher Regierungschefs indes gratulierten Bennett und boten ihre Zusammenarbeit an.

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