Rassistische Täter nach Freispruch erneut vor Gericht

Der Angriff auf eine Eisladen-Besitzerin und ihren Partner in Lichtenberg geht in die Berufung

  • Darius Ossami
  • Lesedauer: 3 Min.

Gönül Glowinski ist sichtlich aufgeregt: »Ich hatte Todesängste in diesem Moment«, erinnert sie sich an den rassistischen Angriff auf sie vor drei Jahren. Am Dienstag sitzt sie nervös im Saal 101 des Berliner Landgerichts, es ist das Berufungsverfahren gegen einen der mutmaßlichen Täter, der in erster Instanz freigesprochen worden war.

An jenem Freitagabend, es war ausgerechnet der 20. April 2018, genoss Glowinski mit ihrem Lebensgefährten vor ihrem Eiscafé in Lichtenberg den lauen Frühlingsabend. Als ihr Partner drinnen aufräumte, kamen zwei Männer mit einem Kampfhund um die Ecke. Im Vorbeigehen beschimpften sie Glowinski mit derben rassistischen und frauenfeindlichen Worten. »Ich bin seit 1978 in Deutschland, aber so etwas habe ich noch nie erlebt«, erzählt die resolute 59-jährige dem Richter, der aufmerksam durch den Prozess führt. Da sie sich das nicht bieten lassen wollte, stellte sie die Männer zur Rede. »Da fing die Eskalation an«, berichtet Glowinski. Einer der beiden packte sie am Hals und drohte, ihr mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Sie ist sich sicher, dass es der Angeklagte war.

Der Tumult draußen rief ihren Lebensgefährten auf den Plan, der sich einen Hocker griff und die Männer abdrängte. Im folgenden Handgemenge ging die Frau zu Boden, einer der Täter hetzte seinen Kampfhund auf ihren Partner, der von diesem in die Hüfte gebissen wurde. Erst als ein Zeuge eingriff, flüchteten die Angreifer.

Der Angriff ging international durch die Presse. Die Polizei fahndete nach den Tätern, solidarische Nachbar*innen organisierten eine Solidaritätskundgebung, Bezirkspolitiker*innen und der Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) besuchten Glowinski in ihrem Eisladen.

Neun Tage später sah der Lebensgefährte einen der mutmaßlichen Täter, René G., mit seinem Hund an einer Bushaltestelle sitzen und rief die Polizei. Die beiden Opfer kannten ihn vom Sehen, er soll schon in den Monaten zuvor gelegentlich am Laden vorbei gekommen sein und sie beleidigt haben. Doch das erste Verfahren im Dezember 2020 vor dem Amtsgericht endete für René G. überraschend mit einem Freispruch. Zwar erkannte die Richterin an, dass es sich um eine rassistische Tat gehandelt hatte. Jedoch hatten die Angegriffenen wenig klare Angaben zu den Tätern machen können, vor allem an die markanten Tattoos von René G. konnten sie sich nicht erinnern.

Zur Berufungsverhandlung sind auch Unterstützer*innen von Gönül Glowinski gekommen. Zunächst hat der Angeklagte das Wort. Anders als im ersten Prozess macht René G. eine Aussage, die aber eher eine Ausrede ist. Er habe die Frau vorher nie gesehen, nuschelt er, und sei auch nie in dem Eisladen gewesen. Der 40-jährige wirkt fahrig, trägt einen Bürstenhaarschnitt und eine weiße Nike-Jacke. Lebhaft wird er nur, als er von seinen Tattoos und seinem Hund spricht, eine Bulldogge, ansonsten stiert er teilnahmslos vor sich hin.

Glowinski tritt zunächst als Zeugin auf, dann als Nebenklägerin. Auch ihr Lebensgefährte, ein türkischer Tischler, tritt als Zeuge auf. Beide bestätigen alle wesentlichen Angaben und äußern sich überzeugend zum Tatgeschehen. Anders als im ersten Prozess haben diesmal beide auf einen Anwalt verzichtet, denn »wenn man Recht hat, braucht man keinen Anwalt«, so der Tischler.

Auch die Staatsanwaltschaft ist in Berufung gegangen. Um so erstaunlicher, dass die Staatsanwältin bei der Verhandlung wenig Interesse zeigt, unerfahren wirkt und fast keine Fragen stellt. Die Verteidigerin von René G., Susanne Lange, ist hingegen ist umso bissiger und ersucht, mögliche Widersprüche in den Aussagen der Zeug*innen aufzudecken. Während die beiden Opfer des Übergriffs überzeugt sind, dass René G. einer der Täter ist, schürt die Verteidigerin Zweifel, so dass eine Verurteilung unwahrscheinlich scheint. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

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