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Ist das schnell oder langsam?

Plattenbau

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Album »Ecstatic Computation« der in Italien geborenen und inzwischen in Berlin lebenden Komponistin Caterina Barbieri verbreitete bei Erscheinen 2019 eine arg bezaubernde, schwebende Atmosphäre. Barbieri ordnete Synthie-Muster so an, dass sie sich auf mindestens zwei Weisen hören ließen: Zum einen als eine mit mathematischer Präzision strukturierte Klangforschung, der es um Muster und Variation in der Wiederholung geht. Zum anderen als melancholisch-futuristische, emotional aufgeladene Ambient-Musik, bei der meine erste Assoziation war, dass sich hier jemand an eine erhoffte Zukunft erinnert, die dann doch nicht stattgefunden hat. Die Schönheit all der uneingelösten Versprechen, so klang das in meinen Ohren.

»Fantas«, das erste Stück auf »Ecstatic Computation«, bildete so etwas wie das Zentrum dieses Albums. Eins dieser Stücke, bei denen man nicht sagen kann, ob sie schnell oder langsam sind, beides wäre richtig. Unter anderem aus dieser Aufhebung eines klar bestimmbaren Tempos speiste sich die Kraft dieser Musik.

Auf den jetzt erschienenem Album »Fantas Variations« wurde Barbieris Stück von anderen Musiker*innen achtmal neuinterpretiert. Am schönsten und schlüssigsten gelingt das, wenn »Fantas« in einen möglichst entfernten Klangkosmos überführt und die sonst von Laptop und Synthesizer vorgenommene Musterbildung von neuen Instrumenten übernommen wird. Oder auch von Sängerinnen: Die Komponistin Evelyn Saylor hat das Stück für vier Stimmen neu arrangiert, die ähnlich entkörperlicht klingen wie Barbieris Synthesizer und damit die Grenze zwischen Mensch und Maschine sozusagen von der anderen Seite aus bearbeiten und als porös erscheinen lassen. Bendik Giske spielt auf dem zweiten Track die Melodie von »Fantas« auf einem verfremdeten, neblig klingenden Saxofon und mischt entrückte, mit der eigenen Stimme erzeugte Walgesänge dazu.

Diese beiden ersten Stücke sind am nächsten am Original gelagert. Kali Malone wiederum spielt »Fantas« auf zwei Orgeln, ein analog erzeugter, Zeitlupen-Ambient, den man, würde man ihn ohne den Kontext hören, nicht mit Barbieris Musik in Verbindung bringen würde. Walter Zanetti überträgt »Fantas« auf die Gitarre und hat damit so etwas wie eine Antithese zum Originaltrack geschaffen: einen warmen, sanften Klangraum, der nichts Cyberpunk-artiges mehr hat. Weniger überzeugend sind die zwei Stücke, die als Remixe im traditionellen Sinn angelegt sind. Jay Mitta, ein DJ aus Tansania, zerhackt »Fantas« mit etwas diffusen Patterns, der Techno-Produzent Baseck wiederum liefert die erwartbare Rave-Variante und haut in »Hardcore Fantas« einen geraden Beat drüber. Kann man machen, nur sind die beiden Tracks eben exemplarisch für das Problem, das typische Remix-Alben oftmals über die ganze Strecke haben: Es wird schnell öde, wenn man zwei, drei Versatzstücke aus dem Originaltrack nimmt und nur das eigene Programm drauf flanscht.

Die beiden letzten Tracks sind dann wieder sehr hübsch, gerade in ihrer Bescheidenheit. Auf »Fantas resynthesized for 808 and 202« spielt Carlos Maria »Fantas« auf alten Synthesizern nach. Und die Pianistin Kara-Lis Coverdale schließlich legt am Klavier die überraschend schöne Melodie frei, die dann doch, bei allem Futurismus und allen Blade-Runner-Assoziationen, den Kern von Caterina Barbieris Stück bildet.

V.A.: »Fantas Variations« (Editions Mego))

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