Ein Königreich gegen den Aktivismus

Tod einer Aktivistin aus den VAE sorgt für aufflammende Debatte über Menschenrechtslage am Golf

  • Philip Malzahn
  • Lesedauer: 3 Min.

Alaa Al-Siddiq war auf dem Weg nach Hause von einer Feier anlässlich ihres 33. Geburtstags, als ihr BMW am 19. Juni mit einem Geländewagen auf einer Kreuzung in der britischen Grafschaft Oxfordshire kollidierte. Als die Rettungskräfte ankamen, war sie bereits tot. Ihr abruptes Ableben löste im Internet eine Welle der Empörung aus - die britische Polizei ermittelt mittlerweile, ob es sich tatsächlich um einen normalen Verkehrsunfall handelt. Denn die Aktivistin Alaa Al-Siddiq ist in ihrem Heimatland, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Persona non grata. Ihr Vater, Mohammad Al-Siddiq, sitzt seit 2013 in Haft. Dem Professor für islamisches Recht wird laut einem Bericht der emiratischen Zeitung Al-Ittihad die »Gründung und Verwaltung einer geheimen illegalen Organisation« vorgeworfen, »die darauf abzielt, sich den Prinzipien zu widersetzen, auf denen die Regierungsführung im Staat basiert, mit dem Ziel, die Macht zu ergreifen.«

Aus Angst um ihre eigene Sicherheit also lebte und arbeitete Alaa Al-Siddiq in Großbritannien als Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation (NGO) ALQST, die mit ihrer Arbeit auf Menschenrechtsverletzungen in den Golfstaaten aufmerksam machen will. Nur wenige Monate vor ihrem Tod hatte sie in Bezug auf die Rechtslage am Golf in einer öffentlichen Videobotschaft gesagt: »Hinter dem ganzen Glanz, Schein und Glamour verbirgt sich eine andere, viel hässlichere Realität.«

Kritiker im Ausland mundtot machen

Vor allem Großbritannien hat sich im vergangenen Jahrzehnt zur Basis diverser Aktivisten und Exilanten aus den reichen Golfmonarchien entwickelt. Das liegt nicht etwa an der Politik Großbritanniens, das genauso wie die EU wirtschaftlich, politisch und militärisch eng mit den Golfstaaten kooperiert, sondern daran, dass die meisten Exilanten sich mit Englisch als Fremdsprache zurechtfinden. Länder wie die VAE versuchen unterdessen mit allen Mitteln, die Stimmen ihrer Kritik auch im Ausland zu erdrücken. Während es bislang noch keinerlei Beweise für ein gewaltsames Einwirken beim Tod Al-Siddiqs gibt, geben andere Beispiele Aufschluss über die Methoden der Golfstaaten. Ahmed Al-Nuaimi etwa ist ein weiterer prominenter Aktivist aus den VAE, der nach London gezogen ist, um einer drohenden Gefängnisstrafe zu entgehen. Im vergangenen Januar hatte er eine Online-Kampagne gestartet, um die Ausreisesperre aufheben zu lassen, welche die VAE über seinen schwerbehinderten Sohn verhängt hatte. Sein an Zerebralparese leidender Sohn würde mit Gewalt festgehalten werden, »in einem Versuch, mich zur Rückkehr zu erpressen und als eine Form der Kollektivstrafe, die der Staat bei gewaltlosen politischen Gefangenen und solchen mit alternativen Ansichten einsetzt«, sagte Al-Nuaimi auf Twitter.

»Unwürdige Umstände«

Aktivisten, die es nicht rechtzeitig ins Ausland schaffen oder eine Ausreise ablehnen, drohen teils drakonische Haftstrafen. So etwa der Dichter Ahmed Al-Mansoor, der sich seit 2017 in Einzelhaft befindet. Die Menschenrechtsorganisation spricht von »unwürdigen Umständen«. Al-Mansoor sei nun seit fünf Jahren in einer vier Quadratmeter kleinen Zelle eingesperrt, in der er zeitweise ohne Matratze auf dem Boden schlafen müsse. Doch auch für Aktivismus, der sich gar nicht mit der Politik der Emirate beschäftigt, hat die Regierung in den VAE wenig übrig. Anfang Juni erst berichtete der US-amerikanische Kanal CNN über Uiguren, die aus den VAE an China ausgeliefert wurden, obwohl sie dort regulär mit einem Arbeitsvisum gelebt haben und auch nicht straffällig geworden sind.

Kaum Kritik aus Europa

Aus Europa gibt es am Vorgehen der Golfstaaten von staatlicher Seite aus bislang kaum Kritik, im Gegenteil: Der emiratische Generalmajor Ahmed Al-Raisi gilt als Kandidat für das Amt des Präsidenten der internationalen Polizeiorganisation Interpol. Die libanesische NGO »Gulf Centre for Human Rights« wirft Al-Raisi unter anderem die Folter des inhaftierten Dichters Al-Mansoor sowie eines britischen Akademikers in den VAE vor. Mittlerweile wurde in Paris beim französischen Strafgericht Beschwerde gegen Al-Raisi eingereicht. Ob es auch zur Strafanzeige kommt, wird derzeit geprüft.

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