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Emotionale Extreme

Dänemark besiegt Wales - und schreibt damit weiter an einer außergewöhnlichen Geschichte

  • Daniel Theweleit, Amsterdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Epos von globaler Bedeutung wird diese dänische Europameisterschaft selbst im Falle eines Titelgewinns nicht werden, ganz so groß sind der Fußball und dieses Kontinentalturnier dann doch nicht. Das hielt Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand jedoch nicht davon ab, sich ein paar sprachliche Anleihen aus der großen Star-Wars-Saga zu nehmen, die fast überall in der Welt Teil der Alltagskultur geworden ist. »Er ist mit uns«, sagte Hjulmand nach dem 4:0-Sieg gegen Wales im Achtelfinale und meinte nicht »die Macht«, die die Jedi-Ritter auf ihren Abenteuern im Weltraum begleitet, sondern Christian Eriksen, der im ersten Spiel einen Herzstillstand erlitten hatte und zu sterben drohte. »Die Jungs sind Krieger«, fuhr der Trainer fort, nachdem endgültig klar war, dass die sehr speziellen Erlebnisse der vergangenen Wochen zu einer ergiebigen Energiequelle geworden waren. »Unsere Stärke ist die Gemeinschaft«, beteuerte Kapitän Simon Kjaer.

Tatsächlich werden sportliche Fachthemen bei den Dänen derzeit eher am Rande diskutiert, für diese Mannschaft geht es um Emotionen, Zwischenmenschliches und die größeren Zusammenhänge des Lebens. Schon der Spielort Amsterdam, den der Turnierplan für das erste K.o.-Rundenspiel der Dänen bei einer EM seit ihrem Turniersieg 1992 vorgesehen hatte, habe ihm Energie gegeben, berichtete Hjulmand. Johan Cruyff, nach dem die Arena in der niederländischen Hauptstadt benannt ist, sei eine seiner »größten Inspirationsquellen«. Und der Gedanke, »dass Christian hier sein erstes Spiel spielte, nachdem er Dänemark verlassen hatte«, habe ihn sehr beschäftigt, erklärte der Trainer. Eriksen, der sich nach seinem Kollaps in Odense erholt und sein Team am Fernseher verfolgt, hatte als Teenager erst im Nachwuchs von Ajax gespielt und später bei den Profis, bevor er zu Tottenham Hotspur wechselte.

Wegen dieser Verbindung und weil sowieso der ganze Kontinent mit den Dänen mitfühlt, waren nicht nur die vielen Dänen, sondern auch die meisten Holländer unter den 16 000 Menschen im Stadion am Sonnabend Fans der Skandinavier, die mehr und mehr auch sportlich zu einem der interessantesten Teams im Wettbewerb werden. Kasper Dolberg, der zu Beginn des Turniers keine Rolle gespielt hatte, nun aber den am Oberschenkel verletzten Leipziger Yussuf Poulsen vertrat, schoss die ersten beiden Tore und erklärte: »Es fühlte sich an wie ein Heimspiel, fantastisch«. Die Atmosphäre war noch dichter als während der Partien, die die Holländer hier austrugen. Besucher aus Wales hatten aufgrund der in Großbritannien verbreiteten Deltavariante des Coronavirus keine Erlaubnis zur Einreise in die Niederlande erhalten. Aber nicht nur deshalb fühlte sich Dolberg wohl. Wie Eriksen spielte der Stürmer von OGC Nizza einst in diesem Stadion für Ajax. Und wie die anderen Dänen schwärmte er von jenem ganz besonderen Geist, der im dänischen Lager auf der Fahrt durch die emotionalen Extreme entstanden sei. »Es ist einfach leicht, in dieses Team zu kommen, das sind coole Jungs. Es ist eine Ehre, Teil dieser Mannschaft zu sein.«

Tatsächlich läuft hier gerade eine märchenhafte Geschichte ab, die auch einem Hollywood-Drehbuch hätte entsprungen sein können - mit besten Chancen auf ein Happy End. Die Rettung Eriksens ist nur ein Teil dieses abenteuerlichen Turnierverlaufs, bemerkenswert ist auch die Auferstehung einer Mannschaft, die am Boden zu liegen schien. Der Schock, die beiden Auftaktniederlagen und der Verlust des Stars des Teams hätten diese Mannschaft dauerhaft lähmen können. Nun sagte Trainer Huljmand nach dem Achtelfinalerfolg: »Als Christian zusammenbrach, habe ich gespürt, dass sich alles ändert. Wir brauchten die Liebe und die Unterstützung. Das hat uns Flügel verliehen.«

Spielerisch agierten die Dänen gegen Wales nicht immer auf höchstem Niveau, Eriksen fehlt ihnen nicht nur als Freund und Mensch, sondern auch als Fußballer. Zwischenzeitlich mussten sie sich mit langen Schlägen aus der eigenen Hälfte befreien. Entschieden war das Spiel erst, als Joakim Maehle in der 88. Minute das dritte Tor schoss, dem in der Nachspielzeit ein weiteres durch Martin Braithwaite folgen sollte. Am Ende hatten sie aber, wie schon im dritten Spiel der Gruppenphase, vier Tore erzielt. Wales war zwar ein eher schwacher Gegner in dieser Partie, aber Dänemark ist im Augenblick erfüllt von den Energien eines ganz besonderen Sommers - und damit auch für kommende Gegner nur schwer berechenbar.

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