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»Ich erlebe eine ganz andere Welt«

Die Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk diskutiert mit Thüringens Justizminister Dirk Adams (Grüne) über rechte Gewalt

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 10 Min.

Vertreter von zivilgesellschaftlichen Gruppen streiten seit Jahren mit Thüringer Justiz und Polizei, ob die Verfolgung von rechtsmotivierten Straftätern funktioniert. Aktueller Anlass für diese Debatte: Der Ballstädt-Prozess, in dem viele Angeklagte aus Südthüringen nach einem Überfall auf eine Kirmesgesellschaft auf der Anklagebank sitzen.

Frau Pietrzyk, Herr Adams, funktioniert die Strafverfolgung von rechtsmotivierten Straftätern in Thüringen?

Pietrzyk: Jein.

Adams: Ja.

Warum jein, Frau Pietrzyk?

Pietrzyk: Es ist ja nicht so, dass wir gar keine Strafverfolgung bei rechtsmotivierten Straftätern hätten. Aber das Problem sind Straftaten, bei denen die rechte Tatmotivation nicht sehr plakativ ist … Konkretes Beispiel: Ein Geflüchteter wird angegriffen, und während der Tat wird er noch rassistisch beleidigt. Da funktioniert die Strafverfolgung im Großen und Ganzen. Aber wenn es nicht so krass offensichtlich ist, was da geschehen ist, gerät die Motivation der Täter für Polizei und Justiz viel zu schnell aus dem Blick.

Herr Adams, die Kritik, die Frau Pietrzyk da gerade geübt hat, gibt es in immer neuen Fällen. Wie können Sie da sagen, die Strafverfolgung funktioniere?

Adams: Weil ich mir ganz sicher bin, dass in solchen Fällen Richter und Staatsanwälte sich nachhaltig bemühen, all die Hintergründe, die es bei einer Tat gibt, zu erkennen und dann zu gewichten, ehe sie zu der Schlussfolgerung kommen, ob ein möglicher rechter Tathintergrund ausschlaggebend für die Tat war oder nicht. Das mag aus Sicht einer engagierten Rechtsanwältin und eines oder einer Geschädigten im Ergebnis nicht die Bewertung sein, die man sich wünscht. Aber das liegt in der Natur der Sache: Vor Gerichten werden Konflikte ausgetragen. Und dass da häufig nicht nur eine, sondern beide Seiten sagen, mit dem Ergebnis des Konflikts seien sie nicht zufrieden, ist systemimmanent.

Pietrzyk: Das geht an der Sache vorbei. Es geht doch nicht um das Ergebnis eines Konflikts, also um das Strafmaß, das mit einem Urteil verhängt wird. Den meisten Menschen, die Opfer rechter Angriffe geworden sind, geht es darum, dass in dem Urteil anerkannt wird, dass die Tat - egal, ob ein Rohheitsdelikt oder eine Beleidigung - rechtsmotiviert ist. Und da gibt es erhebliche Defizite.

Und woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Pietrzyk: Ich mache da vielen Richtern und Staatsanwälten gar keine persönlichen Vorwürfe. Das liegt oft nicht daran, dass sie das nicht könnten. Das liegt aber unter anderem sehr wohl daran, dass es erhebliche Defizite bei deren Fort- und Weiterbildung gibt. Es sind zuletzt Begriffe ins Strafzumessungsrecht gekommen, die auch ich als Richter, ohne eine echte Handreichung bekommen zu haben, nicht anwenden könnte. Was ist denn zum Beispiel eine antisemitische Tat? Wer aus einer solchen Motivation heraus eine Straftat begeht, kann nach dem Gesetz besonders hart bestraft werden.

Bloß: Es ist ja nicht eindeutig, was eine antisemitische Tat ist. Ich und andere Kollegen haben tagtäglich mit so was zu tun, und auch wir streiten uns manchmal darüber, was Antisemitismus ist. Aber wenn nicht mal wir uns da einig sind: Wie soll dann ein Amtsrichter, der vielleicht einmal im Jahr mit einem solchen Delikt zu tun hat und der auch sonst völlig überlastet ist, eine antisemitische Tat erkennen können?

Herr Adams, Sie wollen etwas entgegnen?

Adams: Gar nicht entgegnen, sondern nur feststellen, dass wir uns offenbar einig sind, dass es konkrete Anhaltspunkte dafür geben muss, wenn eine Tat zum Beispiel als antisemitisch eingestuft werden soll. Und ich habe das Vertrauen, dass Richter und Staatsanwälte das erkennen. Es mag sein, dass manchmal bestimmte Vorwürfe, dieses oder jenes sei eine rechtsmotivierte Tat, im Raum stehen, dass sich das aber eben nicht rechtssicher beweisen lässt. Nur, ohne einen solchen Beweis geht es im Rechtsstaat nicht. Und die Justiz ist nicht dazu da, gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu reparieren.

Da hat Herr Adams aber recht, Frau Pietrzyk, oder? Ich höre immer wieder von Polizisten oder Staatsanwälten, dass es nach Taten zwar in der Öffentlichkeit Diskussionen über rechte Tatmotivationen gibt, dass aber nicht mal die Opfer bei ihren Vernehmungen eindeutige Angaben dazu machen, warum sie angegriffen wurden …

Pietrzyk: Das kommt natürlich ganz drauf an, was für Fragen in solchen Vernehmungen gestellt werden. Oft wird inzwischen routinemäßig danach gefragt, ob die Geschädigten den Grund dafür kennen, warum sie angegriffen worden sind. Wo solche Angaben fehlen, kann die Staatsanwaltschaft auch noch mal nachvernehmen lassen, oder man kann das im Prozess erfragen. Aber das führt wieder weg vom Grundproblem. Ich kritisiere nicht, dass der Justizminister keinen Einfluss auf Ermittlungen oder Verfahren nimmt. Ich kritisiere, dass er nicht ausreichend dafür sorgt, dass Richter und Staatsanwälte ausreichend Zeit haben, um an Fortbildungen teilzunehmen, die es ihnen ermöglichen, rechtsextreme Straftaten zu erkennen, wenn die nicht offenkundig sind. Da sehe ich ein totales Defizit.

Aber Frau Pietrzyk, geht es Ihnen wirklich nur um Weiterbildung?

Pietrzyk: Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Schritt. Denn was mir im Alltag seit Jahren regelmäßig entgegenschlägt, wenn ich als Nebenklagevertreterin auf rechte Tatmotive hinweise, und zwar sowohl bei der Polizei als auch bei der Staatsanwaltschaft, ist die Haltung: »Was wollen Sie denn hier? Sie stören nur.«

Herr Adams, was macht das mit Ihnen, wenn Sie so etwas hören? Die Opferschützer von der Initiative Ezra sehen das bekanntlich ähnlich und sprechen inzwischen von einem »Thüringer Justizproblem«.

Adams: Das stimmt so pauschal nicht. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Aber hier sitzt eine engagierte Anwältin, die offenkundig mit vielen Urteilen nicht einverstanden ist. Das kann doch aber nicht als Beleg dafür herhalten, um den Rechtsstaat insgesamt infrage zu stellen.

Ich habe den Eindruck, dass Sie beide aneinander vorbeireden. Sie, Herr Adams, sprechen vor allem über unabhängige Richter und Urteile. Sie, Frau Pietrzyk, setzen mit Ihrer Kritik aber schon deutlich vor dem Urteil an, nämlich im Ermittlungsverfahren, das durch Polizisten und Staatsanwälte geführt wird. Letztere sind weisungsgebundene Landesbeamte.

Adams: Aber die Frage ist doch: Bedeutet die Weisungsbefugnis eines Justizministers gegenüber Staatsanwaltschaften, dass der Justizminister diese Befugnis auch nutzen sollte? Ich hebe da zwei warnende Hände und sage: Nein, grundsätzlich nicht eingreifen. Auch Staatsanwältinnen und Staatsanwälte müssen in Deutschland möglichst unabhängig arbeiten - und sie tun es. Wir als Justizministerium können natürlich auch in Abstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft festlegen, dass es in diesem oder jenem Kriminalitätsschwerpunkt vielleicht ein Sonderdezernat braucht. Aber die Vorstellung, dass ein Justizminister in einzelnen Verfahren gezielt politisch motivierte Anweisungen gibt, ist abwegig.

Warum sind Sie mit dieser Ausführung nicht einverstanden, Frau Pietrzyk?

Pietrzyk: Weil das ein total schönes, theoretisches Wolkenkuckucksheim ist, das hier gerade gebaut worden ist. Herr Adams bleibt dann hier sitzen, in dem Glauben, dass alles ganz toll ist, und ich gehe wieder raus und erlebe eine ganz andere Welt.

Welche denn?

Pietrzyk: Eine, in der ich zum Beispiel erlebe, dass man bei rechten Straftätern - wie etwa im Ballstädt-Prozess - bei der Staatsanwaltschaft darüber nachdenkt, ob man den Tätern Deals anbietet. Aber bei angeblichen linken Demonstranten, bei denen die Polizei auf einer Demonstration eine Vermummung zu erkennen glaubt, werden anthropologische Gutachten für Tausende von Euro eingeholt, um zu beweisen, dass eine bestimmte Person dieser Demonstrant ist. Eine Welt, in der das Verfahren wegen eines rechten Übergriffs auf das Alternative Jugendzentrum in Erfurt unendlich lange gedauert hat und es am Ende nicht einmal eine Verurteilung gab.

Eine Welt, in der Anzeigen gegen Polizisten wegen des übermäßigen Einsatzes von Gewalt fast nie zu einer Anklage führen. Das schafft ein gesellschaftliches Bild von Justiz, das mir - wenn ich Justizministerin wäre - schon Sorgen machen würde. Nämlich das Bild einer Polizei und Justiz, die sehr in eine Richtung ermitteln.

Adams: Dem widerspreche ich ausdrücklich.

Weil Sie müssen?

Adams: Nein, nicht nur weil ich hier auf diesem Stuhl sitze. Weil diese Wahrnehmung nicht die ganze Realität abbildet und unzulässig verallgemeinert.

Pietrzyk: Das ist Alltag, Herr Adams. Ich rate zum Beispiel allen meinen Mandanten inzwischen davon ab, Strafanzeigen gegen Polizeibeamte zu stellen. Wissen Sie, warum? Weil Verfahren, in denen jemand der Polizei einen gewaltsamen Übergriff vorwirft, fast immer eingestellt werden und die Anzeigeerstatter dann Verfahren wegen Vortäuschung einer Straftat oder Widerstand am Hals haben und deswegen am Ende verurteilt werden.

Herr Adams?

Adams: Zum einen will ich - weil Sie so auf Polizistinnen und Polizisten abzielen - darauf hinweisen, dass das Gesetz nicht eine Personengruppe besonders schützt. Sondern das Gewaltmonopol des Staates. Aber das heißt doch nicht, dass der Rechtsstaat bei der Verantwortung jedes Einzelnen mit zweierlei Maß messen würde. Ein Polizist, der jemanden festhält, der tut das ja nicht als Individuum, sondern als Vertreter des Rechtsstaates. Ihr Vergleich ist also schief. Wir können doch nur vergleichen, ob jemand, der eine Straftat aus einer rassistischen Motivation begeht, ebenso konsequent verfolgt und bestraft wird wie jemand, der eine Straftat aus einer antifaschistischen Motivation heraus begeht.

Pietrzyk: Da grüßt die Hufeisentheorie. Und ganz ehrlich, ich finde das vor allem für jemanden, der einer von der Linken geführten Landesregierung angehört, total gefährlich. Das ist eine autokratische Sicht auf die Dinge. Das Gewaltmonopol des Staates ist nicht gottgegeben. Es ist in einem gesellschaftlichen Demokratisierungsprozess ausgehandelt worden. Das hat sich aber inzwischen zu etwas ausgewachsen, das dafür sorgt, dass der Staat sich verhalten kann, wie er will.

Adams: Das ist nicht richtig, und es geht nicht um die Hufeisentheorie, sondern Ihre Darstellung von zweierlei Maß.

Pietrzyk: Doch.

Adams: Nein …

Pietrzyk: Doch. Und deshalb hat der Staat ein echtes Legitimationsproblem. Weil er nämlich tatsächlich nicht im Sinne einer gesunden Fehlerkultur in der Lage ist zu sagen: Hier habe ich einen Fehler gemacht.

Adams: Erst mal dient das Gewaltmonopol des Staates letztlich dem Schutz der Schwachen. Es ist das Fundament jeder modernen Demokratie, die den gesellschaftlichen Frieden wahren will. Und ich widerspreche vehement der Behauptung, es gäbe keine Kontrolle von staatlichem Handeln im Allgemeinen oder des Einsatzes von Gewalt durch Polizisten im Speziellen.

Ist es nicht bezeichnend, dass wir in diesem Gespräch, das wir mit der Strafverfolgung von rechten Straftätern begonnen haben, jetzt bei Anzeigen gegen Polizisten angekommen sind? Geht es also hier eigentlich vor allem darum, dass Menschen wie Frau Pietrzyk den Eindruck haben, es werde im Rechtsstaat mit zweierlei Maß gemessen?

Pietrzyk: Ja. Und deshalb schlage ich mal etwas vor, Herr Adams: Lassen Sie sich mal berichten, wie viele Anzeigen gegen Polizeibeamte jedes Jahr erstattet und wie viele davon eingestellt werden. Es gibt wissenschaftliche Studien dazu. Und die zeigen, dass Sie von der Praxis, wie der Rechtsstaat wirklich funktioniert, ein falsches Bild haben.

Adams: Ich habe kein falsches, aber ich habe ein anderes Bild als Sie. Das stimmt. Ich habe selbst schon Konflikte mit der Polizei gehabt, und ich habe auch schon mal eine Anzeige gegen einen Polizisten gestellt. Ich weiß auch, wie das ausgegangen ist …

… wie denn?

Adams: Es ist nicht anerkannt worden, dass der Beamte sich - wie ich das gesehen habe - rechtswidrig verhalten hat.

Pietrzyk: Das Verfahren ist also eingestellt worden? Sehen Sie?!

Adams: Das habe ich so akzeptiert. Denn ich sehe unsere Polizistinnen und Polizisten nicht als Gegner der Demokratie, sondern als ihre Verteidiger.

Wir gehen hier also sehr konfrontativ auseinander, oder?

Pietrzyk: Ich mache mal ein salomonisches Angebot. Ich glaube, worin wir uns einig sind - auch wenn wir viele antagonistische Positionen vertreten -, ist, dass Justiz keine gesellschaftlichen Konflikte lösen kann. Egal, ob wir über Staatsanwälte oder Richter reden: Die kommen immer als Feuerlöscher zum Einsatz. Was wir wirklich brauchen, wenn wir über rechtsmotivierte Straftaten reden, ist eine gesellschaftliche Ächtung von jeder Art von Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Sozialdarwinismus und ähnlichen Ideen. Das ist eine Verantwortung, die jeder von uns hat.

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Adams: Absolut. Und wir werden unsere offene Gesellschaft nur mit unserem Rechtsstaat und einer unabhängigen Justiz verteidigen.

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