Hilfspersonal der Polizei

Nach dem tödlichen Anschlag in Würzburg ist die Sicherheitsdebatte in Deutschland heiß gelaufen. Rudolf Walther sieht vor allem psychisch kranke Menschen im Visier der Behörden.

  • Rudolf Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Leitartikelwesen und im Kommentariat der deutschen Presse ist es spätestens seit der Silvesternacht 2015/16 in Köln üblich geworden, mit jedem neuen Anschlag eine neue Zeitrechnung einzuläuten mit den Formeln »nach Köln«, »nach Hanau« etc. Man weiß zwar über die Tat noch wenig und über den Täter fast nichts oder gar nichts, aber man beginnt schon einmal darüber zu schwadronieren und zu spekulieren, was für Zeit »nach« dem Anschlag in X und durch diesen ultimativ angesagt ist.

Dies sind triviale geschichtsphilosophisch unterlegte Reflexionen im Stil von Ciceros Kommentar nach den Verbrechen von Lucius Sergius Catilina, des korrupten Statthalters in der römischen Provinz Afrika: »Wie lange noch, Catilina, willst Du unsere Geduld missbrauchen?« Ciceros wetterfeste kriminologisch-staatsfreundliche Gesinnung beruhte bekanntlich auf der Überzeugung, dass es um das Wohl des Staates gut bzw. besser bestellt wäre, »wenn doch jedem auf der Stirn geschrieben stünde, was er vom Staat denkt«. Ciceros Gesinnung ist die älteste bekannte Devise des sicherheitsterroristisch rückversicherten Staatsdenkens, das auch in der Gegenwart eine Schlüsselrolle spielt.

Mit dem Anschlag in Würzburg ist eine besonders verletzbare Gruppe von Menschen ins Visier des beamteten und »zivil« gesellschaftlichen Staats- und Sicherheitsfanatismus geraten: Psychisch kranke Menschen sind jetzt für das Leitartikelwesen pauschal zu potenziellen Mördern geworden, vor denen Staat und Gesellschaft geschützt werden müssen mit allem, was den Sicherheitsbehörden situativ dazu gerade einfällt.

Da ist der Bund deutscher Kriminalbeamter, in dem es neben vernünftigen Leuten auch kurzsichtige Scharfmacher gibt wie Dirk Peglow, den Landesvorsitzenden in Hessen. Er fordert in der »FAZ« vom Montag »ein Radarsystem für psychisch kranke Täter« oder ganz pauschal für »auffällige Personen«. Zu diesem Personenkreis gehören grob geschätzt immerhin 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung, wovon allerdings nur ein kleiner Bruchteil zur Gewaltanwendung neigt. Gefüttert werden soll das Radarsystem des Staatsschutzfanatismus mit Informationen aus der engen Zusammenarbeit der Polizei mit Psychiatern und Psychotherapeuten, die für ihre neue Aufgabe extra von ihrer »Schweigepflicht« entbunden werden sollen.

Der Effizienz halber könnte das Radarsystem womöglich mit einer Armada von Drohnen in der Hinterhand ausgestattet werden, mit denen psychisch Kranke präventiv, also bevor sie auch nur das Geringste getan haben, unter Verdacht gestellt und zu jeder Tages- und Nachtzeit an jedem beliebigen Ort im Land aufgespürt und sicherheitsstaatlich »unschädlich« gemacht werden könnten.

Es gehört zum deutschen Kommentariat in der Sicherheitspolitik, dass williges Hilfspersonal, rekrutiert aus polizeinahen Journalistinnen und Journalisten, bei der medialen Bearbeitung des Publikums mit sicherheitsstaatlichen Vorschlägen wie dem aus Hessen in Aktion tritt und die Gunst der Stunde nützt. Dieses Personal kommentiert solche Vorschläge nicht etwa kritisch, sondern lanciert sie affirmativ in die Medien wie Wetterberichte oder Wasserstandsmeldungen. Statt fundierte Informationen über die realen Gefahren, die von wenigen gewaltbereiten, psychisch Kranken ausgehen, behilft sich das Hilfspersonal der Polizei mit haltlosen Hochrechnungen und Spekulationen in jeder Preislage.

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Eine besonders willige Reporterin meinte im Lokalteil der »FAZ«: »Allein in Frankfurt hat es in den vergangenen Jahren zwei Tötungsdelikte gegeben, bei denen die Täter psychisch krank gewesen sein sollen.« Grund genug, schon mal Drohnen aufsteigen zu lassen?

Rudolf Walther ist Historiker und freier Publizist aus Frankfurt am Main.

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