Patriotischer Roadtrip

Die Kommunistische Partei Chinas blickt recht einseitig auf ihre Geschichte zurück

  • Fabian Kretschmer, Jinggangshan
  • Lesedauer: 7 Min.

Nur die loyalsten unter Chinas Parteikadern pilgern in die »Wiege der Revolution«, um sich in der Lehre von Generalsekretär Xi Jinping unterrichten zu lassen. Ke Hua, ein zierlicher Mann mit roter Krawatte und weit geschnittenen Hosenbeinen, empfängt vor dem riesigen Eingangstor der Führungsakademie in Jinggangshan. »Parteigeschichte zu lernen ist ein Muss für jedes Kind in China. Wenn wir sie nicht ausreichend studieren, dann endet das im Desaster«, sagt Ke sichtlich stolz.

Hier, in den subtropischen Bergregenwald der Provinz Jiangxi, südwestlich von Shanhai, wo sich einst Mao Tse-tung mit seinen roten Truppen zurückgezogen hat, um den kommunistischen Volksaufstand zu planen, werden nun mehr als 70 Jahre später Parteikader ideologisch auf Spur gebracht.

Am 1. Juli feiert die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ihr hundertjähriges Gründungsjubiläum. Die einst lose organisierte Truppe rund um Mao ist längst auf 92 Millionen Mitglieder angewachsen. Sie ist nicht nur die größte Partei weltweit, sondern hält sich auch mit Abstand am längsten an der Macht - nur die Partei der Arbeit Koreas in Nordkorea herrscht noch etwas länger. Und unter Xi Jinping, dem mächtigsten chinesischen Führer seit Landesvater Mao, hat die Partei nach einer kurzen Phase der Öffnung wieder die Kontrolle über viele Bereiche des öffentlichen Lebens erlangt. Zeit also für eine Bestandsaufnahme, um hinter die Propagandafassade zu blicken - und ebenso auf die inszenierte Darstellung der KPCh.

Perfekt choreografierte Inszenierung

Der Staatsrat in Peking hat zur Pressereise nach Jinggangshan geladen, um ausländischen Journalisten ihre Sicht der Dinge darzulegen. Die perfekt choreografierte Inszenierung, gepaart mit einer zutiefst verinnerlichten Selbstzensur, wirkt wie eine unsichtbare Mauer, an der jede kritische Frage abperlt. Wer es dennoch probiert, gerät in einen Mahlstrom von Orwell’scher Absurdität: Bis zur letzten Silbe lesen Lokalpolitiker während der Pressekonferenzen phrasenhafte Redemanuskripte ab, auf eingeworfene Fragen gehen sie nicht einmal im Ansatz ein. An einem ehrlichen Austausch ist der Parteiapparat nicht interessiert. Ausländische Journalisten dürfen die Szenerie lediglich beobachten, staunen und lernen.

Etwa von den ausgewählten Parteikadern, die in die Akademie nach Jinggangshan geschickt werden, um in dem glattgefliesten Gebäudekomplex mit seinen Dutzenden Vortragszimmern, Bibliotheksarchiven und der angeschlossenen Gartenanlage für die weitere politische Laufbahn vorbereitet zu werden. Was sich wie ein staatlich verordneter Betriebsausflug anhört, ist aber mehr: nämlich der Versuch der chinesischen Regierung, die ideologischen Zügel anzuziehen.

In einem der Studierzimmer beginnt ein Parteihistoriker mit heiserer Raucherstimme seinen pathetischen Vortrag: Man solle dem Ruf Xi Jinpings folgen, die »roten Gene« der Gründerväter weiterzutragen. Während auf einem riesigen LED-Display Zitate von Xi erscheinen, hört das Publikum scheinbar regungslos zu. Die meisten von ihnen sind Männer im gehobenen Alter, viele haben Thermoskannen mit grünem Tee auf ihren Schreibtisch gestellt.

Ausweichende Antworten

Darunter auch der 55-jährige Li Guobiao. Er trägt das Parteiabzeichen auf der Brust und jene blaue Funktionsjacke, in der auch Xi Jinping bei öffentlichen Auftritten gekleidet ist. Li wurde nach Jinggangshan von seiner Firma entsandt, einem staatlichen Kohlebetrieb aus der westlichen Shanxi-Provinz. Ob ihm Mao oder Xi wichtiger sei? »Das übergeordnete Prinzip der Partei ist Marxismus - ganz gleich ob unter Mao Tse-tung, Deng Xiaoping oder nun Xi Jinping«, sagt er. Solch ausweichende Antworten werden wir in den kommenden Tagen noch viele hören.

Die Volksrepublik China wirkt in jenen Momenten weit entfernt von den gläsernen Bürotürmen Shanghais, den innovativen Start-ups in Peking oder den selfmade Millionären Shenzhens. Während das Land wirtschaftlich weiter auf der Überholspur bleibt, wird es unter Xi Jinping politisch zunehmend autoritärer. Der 67-Jährige hat ein geradezu paranoides Klima erschaffen, das in Grundzügen an die Schrecken während der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 erinnert. Die KPCh zu kritisieren, ja nur einzelne Regierungsmaßnahmen in Zweifel zu stellen, ist mittlerweile »regelrecht gefährlich geworden«, wie ein europäischer Botschafter kürzlich unter Hinweis auf Anonymität sagte.

Gerne möchte man wissen, was jene zunehmend ideologische Partei der chinesischen Jugend noch zu bieten hat. Über offizielle Interviewanfragen aufrichtige Antworten zu erhalten, ist leider praktisch unmöglich geworden. Doch in privaten Zusammenkünften, wenn die gesellschaftlichen Konventionen wie Masken fallen, lassen sich immer wieder kritische Töne über die Staatsführung vernehmen. »Auch auf uns wirkt die Propaganda seltsam«, meint etwa die Journalistin eines Staatsmediums: »Das ist erst seit einigen Jahren so extrem geworden«. Eine Übersetzerin in ihren Dreißigern sagt: »Ein Land kann man nicht nur mit Ideologie führen.« Auch wenn sie keinen Namen nennt, wird deutlich, gegen wen sich ihre Kritik richtet. Dann fügt sie noch schnell an: »Ich glaube, ich sollte jetzt besser aufhören zu reden«.

Doch gleichzeitig genießt Xi Jinping unter vielen Chinesen eine hohe Beliebtheit, und das aus gutem Grund. Der Staatsführer hat mit seinem Anti-Korruptionskampf dekadenten Parteikadern einem Riegel vorgeschoben und die Armutsbekämpfung zur Priorität gemacht. Auch die Bürokratie ist unter Xi viel effizienter geworden, die urbanen Städte grüner, die Luft sauberer und der Verkehr geordneter.

Doch Chinas mächtiger Führer wird auch vom Wunsch nach Kontrolle angetrieben. Eine seiner essenziellen Lehren geht auf die Sowjetunion zurück, die laut Xi nicht wegen zu starker Repression untergegangen ist, sondern im Gegenteil aufgrund zu lascher Kontrolle. Dasselbe Schicksal möchte der Parteichef mit aller Macht verhindern.

Interne Turbulenzen

Im April hat die Partei beispielsweise eine Telefon-Hotline eingerichtet, damit aufmerksame Bürger »historische Nihilisten« bei den Behörden melden können. Jeder, der also in Äußerungen vom offiziellen Parteinarrativ abweicht, muss fortan mit Repressalien rechnen.

Und wie massiv die Geschichtsschreibung nach ideologischen Wunschvorstellungen zurechtgemeißelt wird, wird für jeden offensichtlich, der in Schulbüchern blättert, die Online-Suchmaschinen durchforstet oder die offiziellen Parteitexte liest. Die blutige Niederschlagung der Pekinger Studentenbewegung am Tiananmen-Platz 1989 ist vollständig aus dem öffentlichen Diskurs gelöscht. Doch auch die Kulturrevolution wird mittlerweile zur harmlosen Übergangsperiode designet. Und dass Mao Tse-tung mit seiner fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik die vielleicht schlimmste menschengemachte Hungersnot des 20. Jahrhunderts ausgelöst hat, wird im offiziellen Geschichtsbuch mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen heißt es: »Viele seiner richtigen Ideen zum Aufbau des Sozialismus wurden nicht gründlich umgesetzt, was zu internen Turbulenzen führte«.

Ebenfalls wenig dürfte ins nationalistische Geschichtsbild passen, dass das erste Treffen der KPCh ausgerechnet im französischen Kolonialviertel Shanghais abgehalten wurde. Fast schon versteckt liegt das einstöckige Backsteingebäude, nur ein paar chinesische Touristen lassen sich an diesem sonnigen Frühlingsvormittag mit ihren Smartphones dort fotografieren. Der Zutritt zu dem Museum ist derzeit untersagt: Offiziell werden Renovierungsarbeiten durchgeführt, doch ganz offensichtlich möchte die Staatsführung wenig Aufmerksamkeit auf jenen Ort lenken, der in direkter Nachbarschaft von Juwelieren, Luxus-Designern und geparkten Lamborghinis liegt. Es ist ein überaus ironischer Wink des Schicksals: Das Haus, in dem der erste Parteikongress der KPCh stattfand, liegt heute im Epizentrum des chinesischen Turbokapitalismus.

Heldenmythos zelebriert

Stattdessen lässt der Staatsapparat immer wieder Reisebusse ins Revolutionsmuseum nach Jinggangshan fahren. Mit roten Kappen, roten Halstüchern und roten Flaggen strömen sie auf den post-modernistischen Neubau zu, der sich an einen dicht bewaldeten Berghang schmiegt. Auf 10 000 Quadratmetern werden hier alte Relikte der kommunistischen Garden präsentiert: zerlumptes Gewand, primitive Flinten und aus Bambusschilf geschnitzte Messer.

In den aufwendig choreographierten Videosequenzen und nachgestellten Bühnenbildern wird der Heldenmythos der kommunistischen Partei zelebriert. Die Tour-Guides, gekleidet in olivgrüne Soldatenuniformen, erzählen anekdotische Märtyrergeschichten von Kadern, die den Sieg der kommunistischen Revolution mit ihrem eigenen Blut auf die Straßen der Dörfer schrieben. Parteigeschichte erinnert in jenen Momenten ein wenig an einen spirituellen Gottesdienst.

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Kommunistische Partei Chinas

Auch die 65-jährige Li ist mit ihrer Jugendfreundin aus ihrer Heimatstadt Urumuqi angereist, um einmal »die Geburt der Roten Armee zu erfahren«. Gemeinsam unternehmen die zwei Pensionierten einen »patriotischen« Roadtrip durchs Land, der sie bis in die tropische Insel Hainan führen soll. »Bislang kannten wir Jinggangshan nur aus den Geschichtsbüchern. Es war ein Schock für uns zu sehen, unter welch harschen Umständen unsere Vorfahren gelebt haben«, sagt die Han-Chinesin, die nur ihren Nachnamen nennen will. Welche Lehre sie vom alten Revolutionsgeist zieht? »Wir Chinesen müssen uns vereinen. Nur so können wir unsere Ziele erreichen«, sagt sie.

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