Jubeln mit Joel und Jeff

zirkus europa

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine eher unscheinbare Ecke von Rom, einen Kilometer nördlich von der Metrostation Flaminio. Samstag zur Mittagszeit. Zwei Männer in englischen Trikots sitzen an einem weißen Plastiktisch vor einem kleinen Restaurant an einer eher unwirtlichen Straßenecke. Joel Phillips, struppige blonde Haare, und Jeff Pedley, leicht gerötete Wangen, haben sich abseits vom touristischen Epizentrum ein Plätzchen gesucht, um sich ein Bier zu gönnen. Anlass zum Anstoßen gibt es ja: Sie gehören zu jenen englischen Fans, die kurzfristig zum Viertelfinale nach Rom reisen konnten, nachdem die Uefa für alle Anhänger aus England die Tickets aus Furcht vor einer Verbreitung der Virusvariante gesperrt hatte.

Nachrücken konnten diejenigen, die nicht mehr auf der Insel leben. Joel ist vor drei Jahren nach Hamburg gezogen, wo er seither als Musiker arbeitet. Inspiriert für seinen Umzug hat ihn, erzählt der 29-Jährige, ein Erlebnis bei der WM 2018, als er vor dem Brandenburger Tor in Berlin das Gruppenspiel Deutschland gegen Schweden verfolgte - und die Menschen das Last-Minute-Tor von Toni Kroos feierten. Seitdem liebt er nicht nur deutsches Bier, sondern auch deutsche Fankultur. Man muss ihn nicht fragen, ob er zum Hamburger SV oder FC St. Pauli hält. Kiezklub, klar. Auch sein Kumpel hat einen Bezug zu Deutschland. »Er ist dort geboren!« ruft Joel aus. »Stimmt’s?« Jeff nickt.

Er kam 1985 in Rinteln an der Weser zur Welt. Sein Vater war dort als britischer Soldat stationiert. Die Familie zog zurück, als er fünf war - Deutsch hat er nie gelernt. Heute lebt der 35-Jährige im belgischen Aalst, unterrichtet als Lehrer an einer Diplomatenschule. Während sich Joel das Ticket regulär über die Uefa-Website besorgen konnte, wandte sich Jeff an einen belgischen Broker. Bezahlte ein erstes Ticket, merkte dann, dass er im ukrainischen Block hätte sitzen müssen. Ein No-Go. Also orderte er noch ein zweites. 100 Euro Aufschlag. Aber was tut man nicht alles, um dabei zu sein!

Während Joel über Hamburg und Amsterdam nach Rom flog, musste Jeff von Charleroi nach Pisa jetten und dann noch den Zug nehmen. Fünf Stunden auf der Schiene, dieselbe Tour am Montag zurück. Ihre Geschichte haben sie auch den Fernsehteams von BBC und Sky oder dem Radiosender LBC erzählt. Schwer abzuschätzen, wie viele der 11 880 Zuschauer mit solch einer Vorgeschichte ins Stadio Olimpico kamen, aber gefühlt mindestens jeder Zweite trug das englische Dress.

Joel und Jeff werden ihren Trip in die Ewige Stadt für immer in Erinnerung behalten. »Please don’t take me home!« twitterte er in der Nacht. Bitte bringt mich nicht nach Hause. Und zu einem Video mit tanzenden Landsleuten schrieb er: Rom habe sich wie Wembley angefühlt.

So schön es zum Viertelfinale war: Das Halbfinale in London finden ohne die beiden statt. Das ist die Kehrseite der Medaille. Einen Fehler wird Joel am Mittwoch bestimmt nicht machen: wie beim Achtelfinale gegen Deutschland mit seinen deutschen Freunden schauen. »Da war ich der einzige, der bei unseren Toren gejubelt hat.«

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