Rassistischer Strohmann

Die US-Rechte hat ein neues Thema für sich entdeckt: Critical Race Theory - die steht der Beschönigung der Geschichte des Landes im Weg

  • Johanna Soll, Boulder
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Rechten und respektive auch die anti-woken Linken in den USA haben ein neues Thema für sich entdeckt: Die Critical Race Theory (CRT). Diese kommt, wie die Bezeichnung bereits vermuten lässt, aus dem Ursprungsland der wokeness, den USA. Unter »woke« versteht man die Erkenntnis darüber, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, darunter Rassismus, Sexismus, Homofeindlichkeit etc., die Gesellschaft beeinflusst. Die CRT entstand Mitte der 70er Jahre ursprünglich innerhalb der Rechtswissenschaft und besagt im Wesentlichen, dass Rassismus nicht nur ein Problem von Vorurteilen Einzelner ist, sondern überdies ein strukturelles Problem, das in vorgeblich neutralen Gesetzen und staatlichen Institutionen verankert ist.

Zu den Thesen der CRT kann man stehen, wie man möchte, doch eigentlich geht es den Rechten und auch den anti-woken Linken gar nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit der CRT. Sie haben die CRT kurzerhand umfunktioniert: zu einem Strohmann. Wie wird die CRT als Strohmann-Argument eingesetzt? Sie dient inzwischen oftmals als bloßes Synonym für den Rassismus in der Geschichte – und auch der Gegenwart – der USA. Rechte fühlen sich in ihren patriotischen Grundfesten erschüttert, wenn Schüler*innen im Unterricht erfahren, dass die USA – das nach ihrer Überzeugung großartigste Land der Welt – keine so großartige Geschichte hat.

Johanna Soll, 38, Afrodeutsche/Afroamerikanische Juristin und Journalistin. Seit 2019 lebt die doppelte Staatsbürgerin in Boulder, Colorado, davor war sie in München als Rechtsanwältin tätig.
Johanna Soll, 38, Afrodeutsche/Afroamerikanische Juristin und Journalistin. Seit 2019 lebt die doppelte Staatsbürgerin in Boulder, Colorado, davor war sie in München als Rechtsanwältin tätig.

Das Land wurde im 16. Jahrhundert von europäischen Siedler*innen kolonialisiert, die indigene Bevölkerung wurde verfolgt, vertrieben, getötet, ihrer Heimat beraubt – damit Weiße es fortan ihre Heimat nennen konnten. Später, ab 1619, kam die Sklaverei hinzu: Afrikanische Menschen wurden verschleppt in das Land, das später die USA werden sollte, und dort zum Arbeiten gezwungen. Sie wurden mit extremer Brutalität misshandelt, missbraucht, ausgebeutet, als Ware gehandelt und entmenschlicht. Diese Vergangenheit wurde und wird noch immer zum Teil beschönigt, wenn beispielsweise in Geschichtsbüchern für den Schulunterricht nicht von »Sklaven« und »Sklaverei« die Rede ist, sondern von »Immigranten« und »Arbeitern« aus Afrika.

In dem Versuch, diesen unliebsamen Teil der US-Geschichte zu verschleiern, haben einige republikanisch regierte Bundesstaaten in letzter Zeit Gesetze erlassen beziehungsweise planen den Erlass entsprechender Regelwerke, die der angeblichen Indoktrinierung von Schüler*innen durch die CRT vorbeugen sollen. Die Rechten, die angeblich nur der CRT kritisch gegenüberstehen, betreiben Geschichtsrevisionismus, indem sie dem Bildungswesen eben dies vorwerfen und versuchen, eine bereinigte Form der US-Geschichte in Lehrplänen zu etablieren.

Doch auch von anti-woker linker Seite muss der CRT-Strohmann für die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus herhalten: »class reductionism« bedeutet, dass soziale Ungleichheit ausschließlich auf Klassenunterschiede zurückgeführt wird. Im Gegensatz dazu behauptet der »race reductionism«, dass die Ursache für Ungleichheit allein in der ethnischen Herkunft begründet ist. Beides greift zu kurz – vielmehr sind sowohl Klasse als auch Rassismus, weil oft miteinander verbunden, Grund für Ungleichheit.

Durch die vereinfachende Gleichsetzung der CRT mit Kritik am Rassismus machen sich bestimmte Linke zu Erfüllungsgehilfen der neu-rechten Ideologie. Wenn junge Menschen in der Schule nichts über die rassistische Vergangenheit lernen, die sich in der Gegenwart fortsetzt, erhöht sich dadurch die Gefahr, dass sie rechten (und auch linken) Ideologien Glauben schenken, die vorgeben, Rassismus sei kein größeres Problem in der Gesellschaft – weder heute noch früher.

Fakt ist, die Ungleichheit zwischen schwarzen und weißen US-Amerikaner*innen besteht nicht nur theoretisch oder gefühlt. So beträgt laut dem US-Kongress das durchschnittliche Vermögen einer schwarzen Familie 17 000 US-Dollar, das einer weißen Familie dagegen 171 000. Der Grund dafür liegt teilweise in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart. Gesetze nach Abschaffung der Sklaverei und auch gegenwärtige diskriminierende Praktiken machen es Schwarzen ungleich schwerer, eine Immobilie und somit Vermögen zu erwerben. Dies anzuerkennen, ist für manch eine*n wohl schon zu irritierend.

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