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Drastisches Ausmaß der Flutkatastrophe wird langsam sichtbar

Zahl der Unwettertoten in NRW ist von 30 auf 43 gestiegen / Mindestens zwölf Tote in Behindertenwohnheim in Rheinland-Pfalz

  • Lesedauer: 4 Min.

Düsseldorf. Die Zahl der Unwettertoten ist in Nordrhein-Westfalen auf mindestens 43 gestiegen. Das hat das NRW-Innenministerium am Freitag auf Anfrage in Düsseldorf mitgeteilt. Bislang war die Zahl mit mindestens 30 beziffert worden. Nach Angaben der Kölner Polizei stieg die Zahl der Toten allein im Kreis Euskirchen auf 24 und im Rhein-Sieg-Kreis auf 6.

Weitere Todesopfer werden in Erftstadt befürchtet. Von dort kamen am Freitag dramatische Bilder. Ein gewaltiger Erdrutsch hatte Häuser zerstört und Autos mitgerissen. Luftbilder zeigen ein enormes Ausmaß der Zerstörung.

Immer wieder kamen Notrufe aus dem Ort unweit von Köln. Wie viele Menschen vermisst werden, war zunächst unklar. Die Situation sei unübersichtlich, sagte Landrat Frank Rock (CDU). »Es ist eine katastrophale Lage, wie wir sie hier noch nie hatten.« Es seien noch 50 Menschen mit Booten gerettet worden, aber auch wieder Menschen auf eigene Faust in bereits evakuierte Häuser zurückgekehrt.

Die Bezirksregierung hatte von Notrufen aus Häusern in Erftstadt berichtet. Die Flut sei sehr schnell gekommen. Senken hätten binnen zehn Minuten unter Wasser gestanden. Es habe kaum Zeit gegeben, die Menschen zu warnen, sagte Rock. Eine Sprecherin des Kreises sagte, es seien auch Menschen in Autos auf überfluteten Straßen eingeschlossen worden.

Von der Bezirksregierung verbreitete Luftbilder und Fotos von dpa-Fotografen zeigen ein gewaltiges Ausmaß. Häuser sind eingestürzt, Autos lagen in neu entstandenen riesigen Erdlöchern neben Betonteilen der ehemaligen Kanalisation.

In Nordrhein-Westfalen helfen derzeit 555 Soldatinnen und Soldaten den Behörden bei der Bewältigung der Hochwasser-Katastrophe. Bundesweit seien es insgesamt 850, sagte der Sprecher des Landeskommandos NRW, Stefan Heydt, am Freitag. In NRW sind 120 Bundeswehrfahrzeuge im Einsatz, darunter Räumpanzer.

Die Situation an der gefährdeten Steinbachtalsperre im Kreis Euskirchen blieb weiter angespannt. »Die Lage ist stabil, aber nicht unkritisch«, teilte der Kreis am Freitagvormittag mit. Der Pegelstand habe sich über Nacht bis zum Einsetzen des Regens um etwa zwei Zentimeter abgesenkt und danach gehalten werden können.

Die Evakuierung der gefährdeten Gebiete unterhalb der Talsperre sei vollständig abgeschlossen, teilte der Kreis weiter mit. »Wie lange die Situation anhält, lässt sich zur Zeit nicht sagen.« Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass durch Rohrbrüche und Starkregen Keime ins Trinkwassernetz gelangt sind. Daher rät der Kreis Euskirchen dazu, das Trinkwasser abzukochen und nicht direkt aus dem Hahn zu trinken.

Bei dem Versuch, Geschäfte in den vom Hochwasser stark betroffenen Städten Eschweiler und Stolberg in Nordrhein-Westfalen zu plündern, sind fünf Menschen vorläufig festgenommen worden, wie ein Polizeisprecher am Freitag berichtete. In den betroffenen Läden war der Eingangsbereich jeweils durch die Hochwasserlage beschädigt. Eine Hundertschaft der Polizei war bereits am Donnerstag im Einsatz, um die verlassenen Wohnhäuser und Geschäfte vor Plünderungen zu schützen.

Mindestens zwölf Tote in Behindertenwohnheim der Lebenshilfe in Rheinland-Pfalz

Die Hochwasser-Katastrophe in der Eifel hat nach den Worten der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) unzählige Menschen schwer traumatisiert. »Das Leid nimmt heute dramatisch zu, weil wir jede Stunde neue Hiobsbotschaften bekommen«, sagte sie am Freitag in Mainz. Mittlerweile seien allein in Rheinland-Pfalz mindestens 60 Todesopfer zu beklagen. Viele Anwohner würden noch immer vermisst. Besonders tragisch sei die Situation in Sinzig, wo zwölf Bewohner einer Behinderteneinrichtung ertranken.

»Das ist ganz, ganz schrecklich, wenn man nur eine Sekunde lang daran denkt, dass in einem Wohnheim so viele Menschen umgekommen sind«, sagte Dreyer. Nach Angaben des Südwestrundfunks war das Erdgeschoss der Lebenshilfe-Einrichtung in der Nacht zum Donnerstag innerhalb weniger Minuten komplett überflutet worden. Den Mitarbeitern sei es nicht mehr gelungen, die Bewohner zu evakuieren.

Der rheinland-pfälzische Lebenshilfe-Landesverband hatte am Freitagvormittag noch keine detaillierten Informationen über das Geschehen in Sinzig. Im Vordergrund stünden zunächst die Gespräche mit Angehörigen der Opfer, überlebenden Bewohnern und den schockierten Mitarbeitern, sagte Geschäftsführer Matthias Mandos dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach Angaben des Mainzer Sozialministeriums sind mehr als ein Dutzend Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe in unterschiedlichem Ausmaß von der Unwetter-Katastrophe betroffen. Einige Gebäude seien zerstört oder unbewohnbar.

Auch in anderen Landesteilen müssten die Menschen fürchterliche Erlebnisse verarbeiten, erklärte Dreyer - etwa im Trierer Vorort Ehrang, der ebenfalls innerhalb weniger Minuten überflutet worden war. Viele Rettungskräfte seien nach teils 36-stündigem Dauereinsatz ebenfalls am Ende ihrer Kräfte. Noch immer seien nicht alle vom Unwetter betroffenen Ortschaften erreichbar. Der Einsatz von Hubschraubern sei auch am Freitag noch notwendig. »Die Schäden sind so dramatisch, dass wir noch lange mit dem Wiederaufbau befasst sein werden«, erklärte die Ministerpräsidentin. Es handele sich um eine Katastrophe von nationalem Ausmaß. Agenturen/nd

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