Libanons Zukunft hängt in der Luft

Nach langem Machtkampf ist die Bildung einer Regierung im Zedernstaat erneut gescheitert

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.

Der designierte libanesische Ministerpräsident Saad Hariri hat am aufgegeben. Nach Besuchen in arabischen Hauptstädten musste Saad Hariri einsehen, dass niemand bereit ist, eine Regierung unter seiner Führung zu unterstützen. Zuletzt hatte Kairo Entgegenkommen signalisiert, doch der Konkurrenzkampf innerhalb der libanesischen Eliten machte dem von Medien vermittelten Hoffnungsschimmer ein Ende. In der nordlibanesischen Hafenstadt Tripoli kam es daraufhin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der libanesischen Armee. Das Libanesische Kreuz sprach von 19 Verletzten.

»Gott helfe Libanon«, soll Hariri Freitag gemurmelt haben, als er den Präsidentenpalast verließ. Dort hatte der 86-jährige Staatschef Michel Aoun von der Freien Patriotischen Bewegung (FPM) erneut Hariris Vorschlag für eine Regierungsbildung abgelehnt. Berichten zufolge ist der Grund für die wiederholte Absage an Hariri, der dem Schwiegersohn des Präsidenten, Gebran Bassil, den geforderte zusätzlichen Posten in der Regierung verweigert haben soll. Andere Stimmen machen die mit der FPM verbündete schiitische Hisbollah verantwortlich, die ein Vetorecht haben wolle. Tatsächlich hatten Hisbollah und Amal-Bewegung zahlreiche Vermittlungsversuche zwischen Hariri und dem Präsidentenpalast unternommen, die aber nicht zum Ziel führten.

Die Präsidentschaft bezeichnete den Rücktritt Hariris als »Putsch« gegen die Vereinbarung, wonach eine Regierung den konfessionellen Proporz wahren müsse. Dieses Prinzip hat die französische Mandatsmacht bei ihrem erzwungenen Abzug 1946 dem Libanon vermacht. Der Präsident ist demnach ein Christ, der Ministerpräsident ein sunnitischer Muslim und der Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim. Das konfessionelle Wahlrecht sorgt für eine entsprechende Balance im Parlament.

Kritiker aus der Opposition fordern seit langem ein Ende des konfessionellen Systems, das Religionszugehörigkeit über politische Ziele und Kompetenzen von Politikern stellt. Für regionale und internationale Akteure bietet das konfessionelle System allerdings ein willkommenes Einfallstor zur Durchsetzung eigener wirtschaftlicher und politischer Interessen.

Die Gemengelage der politischen Interessen im Libanon ist kompliziert. Westliche Staaten wollen verhindern, dass Russland, China und Iran mehr Einfluss im Zedernstaat bekommen. Die USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland arbeiten an einer faktischen Übernahme der am Boden liegenden libanesischen Wirtschaft. Dazu gehört der Wiederaufbau des Hafens von Beirut, um den insbesondere Deutschland und Frankreich konkurrieren. Die Bundesregierung fördert nach Auskunft des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein entsprechendes Projekt der HPC Hamburg Port Consulting mit zehn Millionen Euro.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte indessen eine dritte Hilfskonferenz für den Libanon an. Bei der für den 4. August vorgesehenen Konferenz sollen Gelder zugunsten der libanesischen Bevölkerung eingeworben werden. Das Geld soll nicht der kommissarisch amtierenden Regierung von Hassan Diab, sondern ausschließlich NGO zur Verfügung gestellt werden.

US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete den Rückzug Hariris als »Enttäuschung für die Menschen im Libanon« und kritisierte: »Libanons politische Klasse hat die letzten neun Monate vergeudet.« Die EU drohte, gegen die Verantwortlichen für die politische Krise im Libanon notfalls auch Sanktionen zu verhängen. Der stellvertretende russische Außenminister Mikhail Bogdanov telefonierte mit Saad Hariri und bot an, im Konflikt zu vermitteln, berichtete die libanesische Tageszeitung »Al Akhbar«.

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