Nach uns die Sintflut

HEIßE ZEITEN, DIE KLIMAKOLUMNE: Nach der Hochwasserkatastrophe wird die Politik kurz über den Klimawandel diskutieren. Daraus folgen wird aller Erfahrung nach nichts.

  • Clara Thompson
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bilder sind erschreckend: Überflutungen und Zerstörungen mitten in Deutschland. Was man bisher vor allem aus dem Fernsehen kannte, spielt sich nun direkt vor der Haustür ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte sofort: »Wir müssen uns sputen im Kampf gegen den Klimawandel.« Auch SPD-Umweltministerin Svenja Schulze meinte, der Klimawandel sei nun bei uns angekommen. Deutsche Politiker*innen sagen Sätze wie: »Wir müssen Klimaschutz jetzt ernst nehmen.« Oder: »Das ist ein Warnzeichen.« Von den Grünen bis zur CDU – die meisten stimmen ein in den Kanon, dass sich klimapolitisch nun wirklich etwas ändern müsse.

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Lauscht man dieser Rhetorik, könnte man erwarten, dass gleich morgen die Klimarevolution ausbricht: Autokonzerne fangen an, Straßenbahnen zu produzieren, es gibt keine neuen Autobahnprojekte, dafür Gesetze für den Ausbau eines erschwinglichen öffentlichen Nah- und Fernverkehrs.

Steile These: In der Politik wird genau zwei Wochen intensiv über Klimaschutz debattiert – solange die Überschwemmungen aktuell sind. Aber daraus folgen wird wenig bis nichts. Ein Blick in die deutsche Klimageschichte lässt dies erahnen. So gingen seit 1990 die Emissionen im Verkehrssektor nicht zurück – obwohl Politiker*innen seit Jahren darüber reden, dass sich etwas in diesem Bereich verändern muss. Trotz der Ankündigung des »Jahrzehnts der Schiene« durch Verkehrsminister Scheuer wurde 2020 keine einzige neue Bahnstrecke eröffnet – während 125 Kilometer Autobahnen und Bundesstraßen gebaut wurden.

Gleichzeitig stempeln diese sich vermeintlich für Klimaschutz einsetzenden Politiker*innen andere Menschen, die sich sogar unter Einsatz ihres Lebens für den Klimaschutz einsetzen, als radikal ab. Zuweilen werden Klimaaktivist*innen wegen vermeintlicher rechtlicher Fehltritte hart bestraft.

Vor einigen Wochen etwa wurde eine Frau zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. »Ella« – wie viele andere im Dannenröder Wald aktiv – war auf einen Baum geklettert, um ihn vor der Rodung zu schützen. Zwei Kletterpolizisten wollten sie herunterbringen, zerrten an ihr. Sie wehrte sich, versuchte wegzuklettern und verlor das Gleichgewicht, wobei ihr Fuß dem Kopf eines Polizisten nahekam. Obwohl die Situation unklar war, wurde sie von einem Amtsgericht wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verurteilt. Dies ist nicht das erste Beispiel in letzter Zeit für eine zunehmende Kriminalisierung von Klimaprotesten. In Leipzig wurden Klimaaktivist*innen nach einer Aktion am Flughafen ohne Haftbefehl und Strafantrag festgesetzt und sollten in Untersuchungshaft gebracht werden. Sie waren Teil einer legalen Versammlung gegen den Ausbau des Flughafens.

Wie passt es zusammen, dass Politiker*innen sich in Bezug auf den Klimawandel profilieren und es gleichzeitig geschehen lassen, dass Klimaaktivist*innen, die sich für das einsetzen, was sie selbst scheinbar fordern, unverhältnismäßig hohe Strafen erhalten? Die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, darauf zu warten, dass uns Extremwetterereignisse wieder an den Klimawandel erinnern, der bereits im Gange ist. Dies wissen Aktivist*innen, deshalb machen sie aufsehenerregende Aktionen, die eine Berichterstattung auch über ihre Forderungen provozieren. Oft sind es Aktionen im Graubereich des Legalen oder sogar außerhalb dessen. Natürlich wissen diese Aktivist*innen, dass sie mit Repression zu rechnen haben. Aber sie sehen keine andere Möglichkeit, die nötige Aufmerksamkeit für den Klimawandel zu erzeugen. Würden die Politiker*innen ihren Worten Taten folgen lassen, wären diese Aktionen nicht nötig.

Wir sind an einem Punkt, an dem sich die Gesellschaft entscheiden muss. Lassen wir zu, dass Politiker*innen Sonntagsreden halten, aber den Klimawandel nicht ernst nehmen? Lassen wir zu, dass die Medien über diese Reden berichten, ohne zu fragen, ob sie zu Veränderungen führen? Wollen wir auf die nächste Katastrophe warten, um an das Thema erinnert zu werden, oder soll sich sofort etwas ändern? Solange Politiker*innen auf die Frage, welche Interessen sie bereit sind herauszufordern – die der Autoindustrie, der chemischen und Kohleindustrien –, nichts über konkrete Strategien sagen, bedeutet das ganz wörtlich »Nach uns die Sintflut«.

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