Im Niemandsland

Der US-amerikanische Filmklassiker »Donnie Darko« begeistert Cineasten seit zwanzig Jahren

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor zwanzig Jahren, ein paar Wochen nach 9/11, kam Richard Kellys Filmdebüt »Donnie Darko« in die US-Kinos. Es gibt nur wenige Filme, die mich so sehr berührt haben. Gesehen habe ich diesen so windschiefen wie perfekten Horror/Mystery/Autorenfilm/John- Hughes-zu-seiner-Breakfast-Club-Phase-Hybrid ein paar Jahre nach seinem Kinostart in den USA. In Deutschland erschien er nur auf DVD, und gäbe es die Möglichkeit, ihn noch einmal auf einer großen Leinwand zu sehen, ich würde mir das alles auch zum siebten Mal anschauen.

Geschrieben wurde endlos viel über »Donnie Darko«, nur wenige Filme haben in den Netzforen einen derartigen Interpretationsfuror entfacht. Und es gab für Exeget*innen wirklich viel zu tun: zwei Paralleluniversen, eine schön verquaste Zeitreisenphilosophie, Filmzitate ohne Ende und einen finalen Plot-Twist, der nicht nur clever und überraschend war, sondern einen emotional voll erwischte. Alles im Wesentlichen getragen von einem Protagonisten, der dem idealen Publikum dieses Films, so wie ich es mir vorstelle, äußerst nah ist: ein Antiheld, der als Identifikationsfigur für den idealtypischen (männlichen) Horrorfilmfan gut funktioniert, ein adoleszenter Sonderling, fantasiebegabt, popkulturaffin, stimmungstechnisch eher auf der düsteren Seite.

Der Plot ist, zumindest im Groben, schnell erzählt: Donnie (Jake Gyllenhaal) schlafwandelt. Auf seinen nächtlichen Exkursionen bekommt er Besuch von Frank (James Duval), einem Mann im monströsen Hasenkostüm, der Donnie auf die Sekunde genau den Zeitpunkt des Weltuntergangs vorhersagt und ihn mit Aufträgen aus dem Handbuch des devianten Jugendlichen versorgt: Brandstiftung, die Schule unter Wasser setzen, der Statue des Schulmaskottchens eine Axt in den Schädel treiben. Am Ende rettet Donnie seine große Liebe und noch jemanden vor dem Tod, indem er in dem einen Paralleluniversum, das … Na ja, man soll nicht spoilern, auch zwanzig Jahre nach der Premiere nicht.

»Donnie Darko« jedenfalls ist nicht nur deswegen so wirkungsvoll, weil er ähnlich komplex wie David Lynchs fünf Jahre zuvor erschienener »Lost Highway« gebaut ist, sondern auch weil er als Genre-Hybrid auf verschiedene Erfahrungswelten zurückgreift und sie zu etwas tatsächlich Neuem und, wie gesagt, sehr Berührenden verwebt. Und natürlich fällt das Ganze dementsprechend selbstreferenziell aus. Der Auftrag zur Brandstiftung wird Donnie von Frank dem Monsterhasen nicht zufällig während eines Halloween-Double-Features im lokalen Kino erteilt. Gezeigt werden Sam Raimis »Evil Dead« und Martin Scorceses »The Last Temptation of Christ«, und das sind nur zwei von Dutzenden Verweisen.

»Evil Dead« und Scorceses Jesusfilm markieren die Fixpunkte des Universums von Donnie Darko: die horroraffinen Regionen der Popkultur und eine recht eigensinnige Erlösermythologie. Richard Kellys Director's Cut streicht die religiös gefärbten Untertöne stärker als die wesentlich ambivalenter gehaltene Studioversion heraus. Letztere ist also in in dieser Hinsicht konsequenter, weil näher an den Alltagswelten. Jugendliche sind, im Genre und in der Wirklichkeit außerhalb des Kinos, allemal gemischte Existenzen im Niemandsland zwischen Kindheit, »teenage angst« und den tristen Sachzwängen des Erwerbslebens. Donnie Darko weiß: Man findet nicht ohne Weiteres Eingang in die Ordnung der Erwachsenen, ohne den Wahnsinn zu streifen. Und manche scheitern daran, vielleicht auch, weil diese Ordnung selbst immer wieder Züge des Wahnsinns trägt. Das nicht nur zu behaupten, sondern subkutan spürbar gemacht zu haben, ist das eigentlich Bleibende an diesem Film, verborgen hinter all seinen Rätseln.

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