Der Berg der Klimaschulden wächst

Weil die Energiewende verschleppt wird, ist Deutschland derzeit weit davon entfernt, bis 2045 klimaneutral zu werden

  • Anke Herold
  • Lesedauer: 3 Min.

Am vergangenen Dienstag hat die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen die neuesten Daten zum Energieverbrauch im Jahr 2021 veröffentlicht. Der Trend ist erschreckend: Im Vergleich zu 2020 werden die Treibhausgasemissionen nach Hochrechnungen meines Instituts um acht Prozent auf knapp 800 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente steigen. Die Energiewirtschaft und die Industrie werden über ihren zulässigen Jahresemissionsmengen liegen.

Besonders besorgniserregend ist, dass im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 die Energieerzeugung aus Braunkohle um 34 Prozent und aus Steinkohle um 23 Prozent anstieg. In der Stahlindustrie nahm der Kohleeinsatz um 18 Prozent zu. Höhere Gaspreise haben die Kohle wieder konkurrenzfähiger gemacht, trotz des hohen CO2-Preisen im Emissionshandel, der inzwischen bei 55 Euro pro Tonne CO2 liegt. Gleichzeitig sank der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch um ein Prozent. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung lag sogar zehn Prozent niedriger als 2020. Das größte Minus verzeichnete die Windenergie, die um 20 Prozent sank.
Diese Zahlen zeigen, dass die für den Klimaschutz unabdingbare Energiewende weiter verschleppt wird. Deutschland ist weit entfernt von einer »grünen Erholung« nach der Pandemie; die Milliardenzahlungen aus dem Corona-Programm, die angeblich auch die Klimaschutzziele unterstützen sollten, zeigen zumindest im Jahr 2021 keine positiven Effekte für eine Minderung der Emissionen.

Eine wesentliche Ursache dieser verheerenden Bilanz liegt im mangelnden Zubau an erneuerbaren Erzeugungskapazitäten. Seit 2018 gibt es nur noch einen sehr geringen Netto-Zubau an Windkapazität an Land. Hier bauen wir jährlich gerade nur 18 Prozent der Anlagen zu, die wir brauchen, um die Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Der Netto-Zubau an Photovoltaik-Anlagen lag zwar 2020 bei 4,8 Gigawatt pro Jahr und auch im ersten Halbjahr 2021 wurden schon 2,3 Gigawatt installiert. Für die Klimaneutralität 2045 müssten wir jedoch jedes Jahr die Kapazitäten um 19 Gigawatt Photovoltaik erweitern.

Nach den Angaben der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen ist aktuell kein einziger Wind-Offshore-Park in Deutschland kurz vor der Fertigstellung. Dabei müssten wir jährlich drei Gigawatt neue Kapazitäten an Offshore-Wind-Anlagen installieren. Auch im Verkehr ging der Verbrauch an erneuerbarem Strom in diesem Jahr um zehn Prozent zurück. Elektromobilität mit Kohlestrom führt jedoch zu höheren Emissionen als mit den Diesel- und Benzin-Pkws. Diese Situation ist umso absurder, wenn man sich vor Augen führt, dass der Strom aus Photovoltaik-Anlagen mittlerweile für fünf bis sechs Cent pro Kilowattstunde produziert wird. Windkraftanlagen haben dieses günstige Kostenniveau schon lange erreicht. Eine Vielzahl bürokratischer Hürden blockiert die günstigsten und klimafreundlichsten Energieträger.

Diese Zahlen attestieren eine verheerende Klimabilanz am Ende dieser Legislaturperiode. Für die kommende Bundesregierung sind sie eine hohe Hypothek. Auch wenn nach den Wahlen endlich drastische Maßnahmen ergriffen würden, werden die tatsächlichen Emissionen in den nächsten Jahren weiterhin deutlich über den Zielen des Klimaschutzgesetzes liegen. Denn Klimaschutz oder Kapazitäten an erneuerbaren Energien können nicht einfach wie das Licht angeschaltet werden. Die Bundesregierung hinterlässt durch mangelndes Handeln einen großen »Klimaschuldenberg« für die nachfolgenden Akteure, der kaum noch zu bewältigen ist.

Die Flutkatastrophe hat drastisch gezeigt, dass die Kosten der Klimaschäden die Kosten der Emissionsminderung dramatisch übersteigen. Der Klimaschuldenberg bringt uns aber in die Situation, dass es nun zunehmend schwieriger wird, Finanzmittel gleichzeitig für Klimaschutzmaßnahmen und für die Klimaanpassung bereit zu stellen. So wird der Berg an Klimaschulden auch zu einem Berg an finanziellen Schulden.

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