Alles nach Plan

Wie viel freie Warenproduktion verträgt eine sozialistische Ökonomie? Darüber streiten Robin Hahnel und Erik Olin Wright

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 3 Min.

Angenommen einmal, man wäre so weit, dem Kapitalismus den Garaus zu machen, so bestünde immer noch die Frage, wie man dann produziert - und zwar besser als im Kapitalismus. Kommunismus und Verzicht dürfen nicht in einen Satz, wie ein DDR-Dichter einst wusste. Für solche »Alternativen zum Kapitalismus« interessieren sich Robin Hahnel und der 2019 verstorbene Erik Olin Wright. In einem nun auf Deutsch erschienenen Band diskutieren sie, so der Untertitel, »Vorschläge für eine demokratische Ökonomie«. Das gemeinsame Ziel: Produzenten in freier und gleicher Assoziation, ohne die Herrschaft des Kapitals. Sowohl Hahnel, Jahrgang 1946 und Professor für Ökonomie an der Portland State University in Oregon, als auch Wright, 1947 geboren und Professor für Soziologie an der University of Wisconsin in Madison, stammen aus einer Generation von US-Linken, die sich in den 60er Jahren politisierten und an einem klassenkämpferischen und antikapitalistischen Programm arbeiteten.

Der Band führt nicht nur Argumente für Alternativen zum Kapitalismus an (derer es viele gibt), er ist zugleich Dokument eines interessierten Austauschs, einer politischen Auseinandersetzung auf gemeinsamem Grund. Hahnel ist Vertreter der partizipatorischen Ökonomie, wie er sie in seinem Buch »For the people, by the people« darlegte. Diese Veröffentlichung löste vor allem in der US-amerikanischen Szene eine lebendige Debatte über heutige Formen der Wirtschaftsdemokratie aus. Wright, hierzulande spätestens seit der Veröffentlichung von »Reale Utopien: Wege aus dem Kapitalismus« von 2017 bekannt, plädiert für einen realutopischen Sozialismus. Die Frage, die sie gemeinsam diskutieren, ist Sozialisten verschiedener Länder und Epochen nicht unbekannt. Sie lautet: Wie viel freie Warenproduktion verträgt eine sozialistische Wirtschaft? Hahnel sagt, kein bisschen. Wright entgegnet, ein bisschen lässt sich nicht vermeiden.

Einsichtig ist, die Marktwirtschaft im Sozialismus nicht haben zu wollen, weil man dann beizeiten keinen Sozialismus mehr hat; so lehrt es die Geschichte. Doch die Sache ist komplizierter. Denn Hahnels detailliertes Konzept der partizipatorischen Ökonomie, das nichts als Planung kennt, hat ein paar Tücken. So lässt sich die kulturelle Produktion schwerlich so wie die industrielle handhaben. Auch könnte der Versuch, freie Warenproduktion innerhalb des Sozialismus verhindern zu wollen, diese abseits als »Schwarzmärkte« entstehen lassen. Überhaupt scheint die bloße Erfassung von Angebot und Nachfrage außer Acht zu lassen, dass es auch um die Entfaltung der produktiven Vermögen der Menschheit geht. Hahnel will Vorausplanung bis ins kleinste Detail, das »Lederfreie, lilafarbene High Heels mit gelber Spitze in Größe 37«-Problem nennt er es in Replik auf seinen Kritiker Wright. Das könnte aber auch zur Fessel der Entwicklung der Produktivkräfte werden, die bekanntlich so einiges sprengen können - auch sozialistische Planwirtschaften.

Es mag der politischen Sozialisation der Diskutanten in der Neuen Linken der USA der 60er Jahre geschuldet sein, dass die sozialistische Erfahrung in Europa und Asien nicht als zentraler Bezugspunkt herangezogen wird, am ehesten noch der schwedische Meidner-Plan. Auch auf die Arbeitswertlehre von Marx wird nicht zurückgegriffen. In der strategischen Debatte hat Hahnel die schlagenden Argumente. »Besiegte Feinde nicht zu entwaffnen ist eine schlechte militärische Strategie«, stellt er mit Lenin’scher Verve bezüglich möglicher Mischformen von Sozialismus und Markt fest. Wright ist deutlich reformistischer. Beiden ist nicht in allen Belangen zu folgen, sie haben ihre argumentativen Stärken und Schwächen. Aus dem fruchtbaren Austausch ergibt sich allerdings der Umriss einer dialektischen Antwort auf das aufgeworfene Problem der freien Warenproduktion innerhalb sozialistischer Planwirtschaften. Der bereits zitierte DDR-Dichter Peter Hacks formulierte einst einen entsprechenden Vorschlag: »In nichtigen Dingen Freiheit, in wichtigen Wissenschaft.« Das High-Heels-Problem dürfte sich lösen lassen, das Wichtigste einmal vorausgesetzt: die gesellschaftliche Kontrolle über die Produktionsmittel.

Robin Hahnel und Erik Olin Wright: Alternativen zum Kapitalismus. Vorschläge für eine demokratische Ökonomie. Bertz + Fischer, 244 S., br., 15 €.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal