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Rein da, Männer!

Auszeit für Testosteron und machohafte Prügeleien: Warum die Ausstellung zu »Feminismus im Comic« in Berlin gerade für männliche Comicfans spannend ist

  • Jens Wiesner
  • Lesedauer: 4 Min.

Wo Feminismus draufsteht, gehen normalerweise nicht viele Männer hin. Das sollte nicht so sein, ist aber meine Beobachtung bislang. Und auch ich habe zuerst gezögert, als ich gebeten wurde, die Sonderausstellung »Vorbilder*innen. Feminismus in Comic und Illustration« zu besprechen. Kann das nicht besser eine Frau …?

Vielleicht. Trotzdem war ich neugierig. Die allermeisten Comicgeschichten, die ich in meinem Leben gelesen habe, wurden von Typen verfasst und aus männlicher Perspektive geschrieben. Da war gutes Zeug dabei, sicher. Aber zuletzt hat es mich mehr und mehr gelangweilt, die gefühlt immer gleichen Heldenreisen, Coming-of-age-Geschichten und Action-Stories zu konsumieren. Von dieser endlosen Aneinanderreihung von Panels mit machohaftem Rumgeprügele und Gewaltdarstellungen ganz zu schweigen. Zack! Bam! – Uff!

Stattdessen stammten alle Comics und Cartoons, die ich zuletzt richtig toll fand, aus der Feder weiblicher oder queerer Autor*innen: Lisa Frühbeis’ »Busengewunder«. Liv Strömquists »Ursprung der Liebe«. Olivia Viewegs »Antoinette kehrt zurück«. Anne Simons »Die Kaiserin Cixtite«. Lisa Hanawalts »Tuca & Bertie«. Noelle Stevensons »She-Ra and the Princesses of Power«.

Ein paar dieser Autor*innen sind auch in der von Katharina Erben, Lilian Pithan und Sina Schroeder kuratierten Wanderausstellung des Internationalen Comic-Salons Erlangen vertreten, die im Erdgeschoss des Museums für Kommunikation Unterschlupf gefunden hat.

Dass die Schau nur einen einzigen Raum umfasst, ist ihr Segen. Denn anstatt von einem Raum zum nächsten zu hetzen, nimmt man sich so von Anfang an genügend Zeit, die ausgestellten Werke und Infotafeln zu studieren und in den ausliegenden Comicbänden zu schmökern. Die beigefügten Erklärungen sind dankenswerterweise kurz und prägnant gehalten und überfordern die Besucher*innen nicht mit hoch kompliziertem Wissenschaftsjargon.

Stattdessen lässt die Ausstellung die Autor*innen selbst sprechen – in Form von kurzen Videointerviews, vor allem aber in Form von Auszügen aus ihren Werken, die direkt Lust auf mehr machen.

Schnell (und etwas schamhaft) wird mir bewusst, wie wenige Namen mir hier geläufig sind. Posy Simmonds, die seit 1972 (!) Cartoons für den britischen Guardian zeichnet? Sagte mir gar nichts. Helena Janečić und ihre Comic-Reihe um Superheldin »Horny Dyke«? Nada. Rutu Modan? War mir komplett unbekannt, obwohl ihr Comic »Exit Wounds« bereits 2007 mit dem renommierten Eisner Award ausgezeichnet wurde. Nicht einmal von der Mangaka Megumi Igarashi, die unter dem Pseudonym Rokudenashiko auftritt, hatte ich zuvor gehört. 2014 ließ sie einen 3D-Scan ihrer Vulva erstellen, fertigte daraus ein Kajak und wurde dafür (kurzzeitig) verhaftet, weil sie angeblich gegen das japanische Sittengesetz verstoßen hatte. Ihre Figur Manko-chan (»kleine Möse«) hat es dann auch als überlebensgroßer (und überaus putziger!) Aussteller in die Ausstellung geschafft.

Noch nachdenklicher werde ich, als das Thema »Gender Reverse« aufkommt. Die Idee: Rollen, die klischeegemäß mit männlichen Figuren besetzt wurden, werden nun von Frauen übernommen und umgekehrt. Eine simple, aber überaus entlarvende Praxis, wenn plötzlich der um Hilfe schreiende Prinz in Natalia Batistas »Sword Princess Amaltea« von einer starken Kriegerin beschützt wird.

Ulli Lusts Comic »Lulu und die Scham« lässt mich schmunzeln und gleichzeitig grübeln: Wie ist es eigentlich, wenn man in einer Gesellschaft aufwächst, in der weibliche Sexualität totgeschwiegen wird und nur im stillen Kämmerlein stattfindet? Und wenn wir damit aufwachsen, dass Pornos, Lust und Selbstbefriedigung als etwas gelten, was »Jungs tun, Mädchen aber nicht«?

Sicher ist: All diese Geschichten zu erzählen, ist lange, lange überfällig gewesen – für das weibliche UND das männliche Publikum! Auf der einen Seite stellen feministische Comics nämlich eine Sichtbarkeit und Repräsentation für nicht-männliche Themen her, die lange Zeit über im Comic schmerzlich vermisst wurde.

Gleichermaßen können sie Männern (und Frauen), die mit feministischen Debatten (noch) nicht viel anfangen konnten als perfekte »Einstiegsdroge« ins Thema dienen – gerade weil Werke wie zum Beispiel Lisa Frühbeis’ »Busengewunder« und Katja Klengels »Girlsplaining« dem alten Klischee von der Spaßbefreitheit aber so was von Lügen strafen.

Die Ausstellung richte sich an alle Menschen, sagt Kuratorin Lilian Pithan: »Wirklich große Kunst zeichnet sich ja meistens durch die Universalität der erzählten Geschichten aus. Und dass Feminismus keine Frauensache ist, versteht sich von selbst. Eine gerechte Gesellschaft können wir nur zusammen schaffen – mit Frauen, Männern und allen, die sich jenseits dieser Kategorien bewegen.«

Mir hat der Ausstellungsbesuch auf jeden Fall noch weiter geholfen, zu verstehen, wie sich ein Leben jenseits des Y-Chromosoms anfühlen mag. Ich verlasse den Raum neugierig auf die lange Liste von Autor*innen, die es nun neu zu entdecken gilt. Excelsior!

»Vorbilder*innen«. Bis zum 10.10. im Museum für Kommunikation, Berlin

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