Ein Selbstbewusstsein ausstrahlen

Seinen Fotos konnte auch schlechtes Papier nichts anhaben: In Halle wird der Mode- und Aktfotograf Günter Rössler ausgestellt

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Kunsthalle Talstraße in Halle würdigt Günter Rössler mit einer unter Corona-Bedingungen möglichen Jahresausstellung seiner Fotos. Die Ausstellung und der Katalog provozieren Fragen über das Drumherum von Ursache und Wirkung von Fotos dieser Qualität. Werbung, Reportage, Mode und Akt – ein breites Spektrum kreist um einen Mittelpunkt: Der Mensch, weiblich. Eine geradezu suggestiv klare Bildsprache, meist in groß gesehenem SchwarzWeiß. Eine fast grafisch zu nennende Diktion. Da kommt eine besondere Sicht auf etwas zur Geltung. Lediglich eine gewisse zeitgeschichtliche Bedeutung dafür zu reklamieren, greift zu kurz. Da blitzt ein Milieu, ein Gesellschaftsklima und zuletzt ein Kunstbiotop auf.

Der Leipziger Künstler Rössler (1926–2010) begann in der 50er Jahren als Modefotograf zu arbeiten und wurde dann als Aktfotograf weithin bekannt. Das besondere Kapitel seiner Aktdarstellung ist längst in Ausstellungen, Büchern und Kalendern recht ehrenvoll behandelt. Das grenzt nun schon ein wenig an Ruhm. Dieser kam zwar fast zu spät, erst gegen Ende seines Lebens. Aber immerhin war das die Entschädigung dafür, dass er seinerzeit aus dem nachgewendet verwendbaren Kaderstamm schroff aussortiert worden war. Im dem 90er-Jahre-Mainstream gehorchenden Bildjournalismus à la Marktlage nicht gefragt zu sein, griff dann schon in die professionelle Existenz ein.

Der Katalog zur Hallenser Ausstellung mit seinen 136 Seiten ist vorzüglich ediert. Man fragt sich: Wo ist all das hier Präsentierte medial zugänglich gewesen? In einer schnell dem Verschleiß anheimfallenden Presse jedenfalls nicht. Bilder und Fotos sind für sie Wegwerfware. Das ist ein ständiger Reizpunkt aller dort auf Qualität trainierten Aktiven. Doch der seinerzeit im Lande vorherrschende extrem auf Realität bezogene Kunstbegriff begünstigte, dass aus medialer Präsenz Künstlerisches wachsen konnte. Reporter wurden Schriftsteller, Pressezeichner Grafikdesigner oder TV-Kameraleute Regisseure. Und Rössler stand von Anfang an für einen Bildjournalismus mit künstlerischem Anspruch. Wer einmal als Lernender aus der Fotografikküche der Hochschule für Grafik und Buchkunst seiner Heimatstadt gekommen war, brachte diesen Ruch mit.

Das Dilemma lag in der Qualität der Reproduktion der publizierten Fotos. Zeitschriften wie »Das Magazin« oder »Sibylle«, immerhin aus Umweltgründen auf holzhaltig recycelbarem Papier gedruckt, gaben dabei nur eine notdürftige Folie für Erstklassiges ab. Vom heute für unabdingbar gehaltenen Standard von Hochglanz und Farbbrillanz konnte man in der DDR nur träumen. Was hier nun geschah – war das nur ein Aus-der-Not-eine-Tugend-machen? Es ist fast ein Wunder (oder eben ein Qualitätszeichen jenseits von Luxus), dass die Ausstrahlung des Gebotenen dennoch voll spürbar wurde. Natürlich begünstigte genau das die verknappende Präzision der Komposition jenseits von neckischem Schnickschnack.

Die vorherrschende Schwarz-Weiß-Reproduktion begünstigte eine grafisch abstrahierende Sicht. Die süßliche Verniedlichung des Kitsches lag in weiter Ferne. Kitsch as Kitsch can, spöttelten die Insider. Trend war im ständigen Mangelland die Askese nüchtern-naturhafter Lebensweise. Umso üppiger blühte geradezu schwelgerisch der Traum vom Wohlsein. Und da war Rössler als überaus produktiv schöpferischer Mensch mittendrin.

Man war in der in Berlin konzentrierten Wochen- oder Monatspresse der DDR ziemlich fest engagiert. Freiberuflich zwar, aber meist vertraglich an bestimmte Aufgaben gebunden. Redaktionen haben immer ein Programm, für das sie sich und andere engagieren. Unter sozialistischer Programmatik steckte da doch viel Traditionelles: Eine Illustrierte wie die »Freie Welt« bewegte sich in der Nachfolge einer eingeführten Bildpresse. »Das Magazin« verstand sich als gehobene Unterhaltung gemäß bildungsbürgerlicher Ideale, und »Sibylle« als Modejournal, durchsetzt von gediegenem Feuilleton. Das angestrebt neue Milieu kam ganz einfach aus den sozialen Idealen der Arbeiterbewegung. Da war »elitär« schon ein Schimpfwort. Und die Abwesenheit der Großmannssucht eines Starrummels war kein Zufall. Merkwürdig, dass diese Tatsache heute so schwer zu vermitteln ist. Abwesenheit von Zensur ist hier mit der Anwesenheit idealer Auftraggeberinnen zu erklären: »Magazin« gleich Hilde Eisler und »Sibylle« gleich Dorothea Melis.

Wieso würdigen wir den im Mittendrin wirkenden Rössler nun sowohl als Trendsetter wie als Außenseiter extra? Es ist komisch, dass sich die Besten in jenem medialen Spiel zu so unverwechselbarer origineller Größe zu steigern vermögen. Heute ist es schwer, in diesem Beruf prominent namhaft zu werden. Ein gesellschaftliches Lebensgefühl in den Bildmedien zu vermitteln – das geschieht eben ganz unbewusst. Ein Empfinden, das der Freikörperkultur so weite Verbreitung brachte.

Die Frauen strahlen bei Rössler ein Selbstbewusstsein aus, das schwer zu beschreiben ist. So total hüllenlos ein Rössler-Akt ist, er hat dieses Geheimnis. Und die sonst bei den meisten Aktdarstellungen ganz unwesentlichen Augen spielen hier eine Hauptrolle. Nebenbei deutet der Titel der Ausstellung »AugenBlicke« eine Dreideutigkeit an: Der Fotograf guckt zuerst. Das Modell sieht uns noch viel intensiver an. Und wir dürfen das gesteigert wahrnehmen.

Intuition spricht aus Rösslers Worten: »Man muss sehen können, einen Sinn für das Besondere haben, Dinge aus der Umgebung heraustrennen können.« oder: »Mein Ideal ist die absolute Natürlichkeit.« Was heißt das anderes, als etwas zu entdecken, ohne es umzuformen nach eigenem Gusto? Und damit erst das absolut Eigene zu bieten. Da, wo das Manipulieren von Fotos noch übertroffen wird vom ständigen Korrigieren der Natur von Körper und Gesicht, ist das eine geradezu revolutionäre Erkenntnis. Und dass nun Modefotografie statt im Rössler-Sinn naturhaft lebendig, meist wieder hochgestylt extravagant sein muss – soll das ein Fortschritt sein?

Bis 29.8. Kunsthalle Talstraße, Halle an der Saale

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