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Legal diskriminiert

Mit dem 2G-Modell trägt die Politik zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderung bei, kritisiert Verena Borchert

  • Verena Borchert
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit Wochen schon stagniert die Impfquote. Zeit zu handeln, dachte sich wohl der rot-grüne Senat in Hamburg und beschloss statt des 3G-Modells ein optionales 2G-Modell für Teile der Privatwirtschaft, welches am Samstag in Kraft trat. Soll heißen: Wenn Veranstalter*innen und Betreiber*innen sich entscheiden, nicht geimpften Personen keinen Zutritt mehr zu gewähren, werden für sie im Gegenzug die meisten Corona-Auflagen, wie Abstandsregeln oder Personenobergrenzen, gelockert oder entfallen sogar ganz.

Über kurz oder lang ist so, trotz aller Kritik, damit zu rechnen, dass die allermeisten Betriebe im Bereich Kultur, Sport, Gastronomie und Hotelgewerbe ihre Türen nur noch für geimpfte Personen öffnen werden; allein der finanzielle Druck dürfte für viele ausreichend sein.

Im Allgemeinen kein Problem, sollte man meinen; schließlich kann sich mittlerweile jede Person impfen lassen und sich selbst damit vor einem möglichen schweren Krankheitsverlauf und das Gesundheitssystem vor Überlastung schützen. Aber was ist mit Menschen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen dürfen?

Kinder unter zwölf, so hat der Hamburger Senat bekannt gegeben, sind von der Regel ausgenommen. Nicht aber ältere Menschen, die sich nicht impfen lassen dürfen. Was das faktisch für viele chronisch Kranke in Zukunft bedeuten könnte, darauf wird in den meisten Medien leider kaum eingegangen.

Für die betroffenen Personen heißt das konkret, dass es jetzt in Hamburg nicht nur legal ist, sie von großen Teilen des gesellschaftlichen Lebens auszuschließen, sondern, dass dieses Verhalten zusätzlich durch den Staat gefördert wird. Der Besuch im Kino oder im Theater, der Abend im Restaurant, die Übernachtung im Hotel, der Besuch im Fitnessstudio, der Gang ins Museum oder die Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung; alles Dinge bei denen viele Menschen mit chronischen Erkrankungen sich in Zukunft werden fragen müssen, inwiefern sie noch daran teilnehmen können oder nicht.

Hier ein kleiner Reminder: Die Menschenrechte sind nicht teilbar und die Teilnahme am kulturellen Leben und das Recht auf Bildung in Artikel 26 und 27 explizit geschützt. Das aber scheint der Hamburger Senat gerade vernachlässigbar zu finden.

Der Infektionsschutz darf jedoch nicht dazu führen, dass bestimmten gesellschaftlichen Gruppen ihre Menschenrechte vorenthalten werden, und muss der Situation angemessen sein. Auch ist fraglich, inwieweit die Regelung tatsächlich zum Infektionsschutz beiträgt, da Studien mittlerweile nahelegen, dass auch geimpfte Personen sich mit dem Virus anstecken und es weitertragen können. Es geht also mit der Regelung wohl auch darum, die Impfquote zu erhöhen. Gerade wenn man bedenkt, dass bei der 2G-Regelung viele Hygienemaßnahmen wegfallen, liegt eine solche Interpretation nahe. Wenn dem so ist, sollte vielleicht besser ein menschenrechts- sowie grundrechtskonformes Gesetz zu einer allgemeinen Impfpflicht auf den Weg gebracht werden, dass das Recht auf soziale Teilhabe behinderter Menschen garantiert.

Aber trotz gut wirkender und verträglicher Impfstoffe scheut die Politik eine klare Regelung diesbezüglich und trägt lieber weiterhin zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderung bei, deren Rechte im Verlauf der Pandemie schon zu oft verletzt wurden. Ich erinnere daran, dass Aktivist*innen wochenlang kämpfen mussten, bis ein Großteil der behinderten Menschen, die nicht in stationären Einrichtungen lebten, endlich in eine Prioritätsgruppe der Impfverordnung aufgenommen wurde. Wie so oft in dieser Pandemie müssen wir die Erfahrung machen, dass unsere Rechte durch die Politik nicht geschützt, sondern immer wieder verletzt werden.

Erschreckend aber keineswegs verwunderlich ist dabei, wie klaglos das von großen Teilen der Gesellschaft hingenommen wird. Immerhin sind behinderte Menschen bis heute im öffentlichen Leben kaum sichtbar. Wen kümmert es da, wenn ihre Gruppe stillschweigend erweitert und ihre Rechte noch weiter eingeschränkt werden? Das ist einer Demokratie, die gerade davon lebt, dass sie Rechte von marginalisierten Gruppen schützt, zutiefst unwürdig; und einem Rechtsstaat sowieso.

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