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Der Kampf beginnt in der Familie

Die Frauenrechtsorganisation RAWA berichtet über die derzeitige Lage in Afghanistan und warum das Land jetzt wieder am Nullpunkt steht

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 16 Min.

Es gab Berichte von Nichtregierungsorganisationen über junge Frauen, die zu den Waffen gegriffen und in mehreren Städten des Landes kleine, aber entschlossene Demonstrationen angeführt hätten. Hat RAWA Kenntnis von zivilgesellschaftlichem Widerstand und Ungehorsam gegen die Taliban?

In den sozialen Medien sind einige Bilder aufgetaucht, auf denen Frauen mit Waffen zu sehen sind. Einige von ihnen gehörten zu Kriegsherren wie Dostum, andere waren sogenannte Aktivistinnen der Zivilgesellschaft. In der Provinz Bamiyan etwa trafen sich einige sogenannte zivilgesellschaftliche Aktivistinnen mit Polizeibeamten weit weg von der Frontlinie und posierten mit ihren Waffen in der Hand für ein Fotoshooting. Sie verbreiteten das Foto in den sozialen Medien und verglichen sich sogar mit den Frauen in Kobane, doch als die Taliban angriffen, flüchteten sie alle ins Ausland. All dies geschah vor dem Angriff der Taliban und bevor die Städte, einschließlich Kabul, an die Taliban »verschenkt« wurden.

Eigentlich war die Situation der afghanischen Frauen noch nie positiv. Wir erwarten also nicht, dass sie eine militärische Mission bilden. Die sehr niedrige Alphabetisierungsrate, das fehlende politische Bewusstsein, die absolute wirtschaftliche Abhängigkeit von männlichen Familienmitgliedern, die unzureichende Beteiligung an Politik, Verwaltung, sozialem Leben usw. haben sie in der Gesellschaft in gewisser Weise unsichtbar gemacht. In der Hauptstadt ist es etwas besser, aber in den ländlichen Gebieten werden sie zu Hause geboren, mit dem Namen eines männlichen Familienmitglieds angesprochen und identifiziert, und schließlich sterben sie und werden unter dem Namen eines männlichen Familienmitglieds begraben.

In den letzten Jahrzehnten hatten wir keine Regierung, die auch nur kleine Schritte und Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Frauen unternommen hätte. Selbst in der sogenannten amerikanischen Demokratie hat das Parlament frauenfeindliche Gesetze und Regeln verabschiedet. Das Bildungs- und Justizsystem wird von engstirnigen Männern geführt.

Wir sind der Meinung, dass ein Aufstand von Frauen, bewaffnet oder unbewaffnet, nur dann stark und wirksam sein kann, wenn er aus der Mitte der Gesellschaft kommt, wenn er auch von leidenden Männern unterstützt wird und wenn er mit der massenhaften politischen Mobilisierung von Frauen im ganzen Land verbunden ist. Hätten sich die Frauen mit dem oben erwähnten Potenzial eingesetzt, dann hätten es die Taliban oder andere fanatische Kräfte nicht gewagt, die Macht zu übernehmen, denn das wäre ein Funke für einen neuen Aufstand gegen den Fundamentalismus gewesen. Wir hätten solche mutigen und fortschrittlichen Taten von Frauen sehr unterstützt und uns ihnen sogar angeschlossen, aber wir sollten zwischen echten Kriegern und Angebern unterscheiden.

Die Taliban haben die Macht fast kampflos übernommen. Wie ist die Situation für Frauen und Mädchen in Afghanistan, haben Sie zuverlässige Informationen?

Ja, die Taliban haben die Macht in Afghanistan fast kampflos übernommen – die Berichte über die hohe Zahl ziviler Opfer bei Taliban-Angriffen in Provinzen wie Tachar, Kunduz, Ghazni, Herat und Kandahar sind jedoch nicht in den Medien erschienen. Wir glauben und haben in den letzten zwei Jahrzehnten in mehreren Artikeln und Erklärungen geschrieben, dass die USA nicht in Afghanistan waren, um den Terrorismus oder Fundamentalismus zu beseitigen. Und es war völlig klar, dass das Ende einer militärischen Besatzung nicht sehr erfolgreich und voller Freude sein kann.

Der Verrat der kapitalistischen und militaristischen westlichen Regierung bestand nicht nur darin, dschihadistische Kriegsherren zu unterstützen, einen Boden für die weit verbreitete und beispiellose Korruption zu schaffen, Afghanistan in einen Mafia- und Narco-Staat zu verwandeln, Terroristen durch Waffenverkäufe, Bombenanschläge und Angriffe auf unschuldige Zivilisten zu ermächtigen und grundlegende Werte wie Demokratie und Frauenrechte zu verhöhnen.

Sondern? Was war noch schlimmer?

Der größte und unverzeihlichste Verrat bestand darin, den terroristischen Taliban Stärke zu verleihen. Die USA/Nato haben den Taliban die Möglichkeit gegeben, in Kabul einzumarschieren: Die Unterzeichnung eines Abkommens mit ihnen, die Freilassung aller ihrer Gefangenen, die Streichung der Namen ihrer Führer von der Terroristenliste der Vereinten Nationen, die Bereitstellung aller möglichen Mittel und internationaler Legitimität in Doha, das Ermöglichen der tragischen Komödie namens »Friedensgespräche« und viele weitere Maßnahmen haben diese mittelalterlich gesinnten Kräfte wieder stark gemacht.

Seit zwei Wochen versuchen die Taliban, ein sehr gemäßigtes Gesicht zu zeigen und zu beteuern, dass sie sich geändert haben. Aber wir lassen uns von ihren demagogischen Erklärungen nicht täuschen. In den letzten Jahren wurde Afghanistan zum gefährlichsten Ort erklärt, an dem Frauen geboren werden können, und jetzt, nach der Machtübernahme durch die Taliban, ist es noch schlimmer geworden.

Noch versuchen die Sprecher der Taliban, ihre Zungen zu kontrollieren und sich nicht gegen die Freiheiten von Frauen auszusprechen. Aber in Wirklichkeit sind nur wenige Frauen auf den Straßen zu sehen, und die tragen alle den Hidschab, weil sie die Taliban fürchten. Die neuen Vorschriften, die nach und nach verkündet wurden, besagen, dass in allen Schulen und Universitäten Jungen und Mädchen getrennt unterrichtet werden; männliche Lehrkräfte sollen nur Jungen und weibliche nur Mädchen unterrichten. Frauen sollen aufgrund von »Sicherheitsvorkehrungen« zu Hause bleiben und zu der Überzeugung gelangen, dass der sicherste Ort für sie das eigene Heim ist (die Taliban behaupteten, dass ihre Streitkräfte im Moment nicht richtig ausgebildet seien für den Umgang mit Frauen!).

Was halten Sie von den Erklärungen der Taliban, dass Frauen und Mädchen arbeiten und zur Schule gehen dürfen?

In einigen Provinzen haben sie gesagt, dass nur bestimmte Fächer – im Zusammenhang mit der Gesundheitsfürsorge und der Grundschulbildung – für weibliche Studenten an den Universitäten offen stehen werden. Sie verbieten Musik als »haram«, also tabu gemäß den Regeln des Islam. Sie haben zwar gesagt, dass sie keine Gewalt anwenden werden, aber sie fordern junge Leute auf, keine Musik zu hören. Weibliche Moderatoren und Journalisten, Lieder, Filme, Dramen und Unterhaltungsshows sind aus den Fernsehkanälen verschwunden. Außerdem hat sich die Kleiderordnung für Frauen stark verändert: lange Hidschabs, die den Kopf bis zu den Zehen bedecken, meist in schwarzer Farbe, selbst für Mädchen im Teenageralter. Es ist unmöglich, Mädchen im Teenageralter zu finden, die außerhalb ihrer Häuser spielen – normalerweise kommen sie alle nachmittags in der Nähe ihrer Häuser zusammen, um zu spielen und sich zu unterhalten. Mehrere Frauen durften nicht in ihre Büros gehen und wurden nach Hause geschickt. Alle Frauen wurden aus den staatlichen Bereichen entfernt, fast alle privaten und staatlichen Banken, Unternehmen, Ämter, Hilfsorganisationen, Mittelschulen und Universitäten sind immer noch geschlossen; kleine Unternehmen wie Sportvereine, Schönheitssalons, Hochzeitssäle, Reisebüros, Cafés und schicke Geschäfte waren vom ersten Tag an geschlossen.

Die Preise für lebenswichtige Güter wie Lebensmittel sind stark gestiegen. Die Menschen sind geschockt im Hinblick auf die bevorstehenden, sehr tiefgreifenden und negativen wirtschaftlichen Auswirkungen. Kurz gesagt: Es fühlt sich an, als würde man in einer toten Stadt leben. Das einzige Geflüster, das man hören kann, ist das über Fluchtmöglichkeiten. Auch wenn die Taliban vorgeben, nicht gegen Frauen zu sein, legen sie Wert auf die Durchsetzung der Scharia. Allein im Jahr 2021 töteten die Taliban mehrere bekannte weibliche Aktivisten, Mitarbeiter humanitärer Organisationen, Polizeibeamte, Angehörige der Armee und der Justiz, Gesundheitspersonal und Impfpersonal, Journalist*innen, Medienmitarbeiter*innen usw. Sie wurden entweder Opfer von Selbstmordattentaten oder gezielten Tötungen.

Sind die versöhnlichen Töne der Taliban also nur Propaganda, um die Menschen in Sicherheit zu wiegen und vor den Augen der Welt ein moderneres Bild abzugeben?

Ja, genau so sehe ich das. Sie haben viel aus den früheren Regierungszeiten gelernt und wissen, dass sie ohne internationale Beziehungen, eine wirtschaftliche Agenda und Legitimität nicht überleben werden. Sie wollen und müssen offiziell anerkannt werden und wie alle anderen Regierungen auch Beziehungen zu anderen Ländern unterhalten.
Sie haben vielleicht gehört, dass ein US-Beamter sagte, sie hätten es nicht eilig, die Taliban-Regierung offiziell anzuerkennen. Ja, sie haben es vielleicht nicht eilig, aber sie werden tun, was die Politik einer kriegstreibenden Regierung verlangt. Jahrelang haben die USA den Fundamentalismus unterstützt und ausgebildet und ihn hauptsächlich gegen die Sowjetunion eingesetzt.

Auch wenn das US-Militär abgezogen ist, werden sie ihre Rivalen nicht vergessen: China, Russland und Iran. Nach den jüngsten Entwicklungen scheinen sich die Taliban vor allem China und Russland anzunähern, aber es ist wichtig zu erwähnen, dass es unter ihnen viele Fraktionen gibt, die von verschiedenen Regierungen wie Pakistan, Iran und Russland und natürlich den USA abhängig sind. Jedenfalls, wenn nicht auf die Taliban, so können sich die USA auf noch finsterere Kräfte wie Daesch (Islamischer Staat-Khorasan – IS-K) verlassen. Alles, was für diese kolonialistischen Mächte zählt, ist der Verkauf von Waffen, das Führen von Kriegen und die Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Interessen. Die USA haben schon immer als Pate für kriminelle terroristische und fundamentalistische Netzwerke rund um den Globus fungiert.
Der derzeitige sogenannte Beschwörungsprozess dient nicht dazu, den Afghanen ehrlich zu helfen, sondern 1) die zwei Jahrzehnte andauernden Verbrechen zu beschönigen, 2) das Chaos nach dem schändlichen Abzug zu vertuschen und 3) die zuverlässigsten Agenten und Verbündeten aus der fliehenden Bevölkerung auszuwählen, denn unsere Geschichte hat es bewiesen: Karzai, Ghani und mehrere andere Beamte wurden jahrelang und von klein auf von der CIA ausgebildet und trainiert.

Die Taliban mögen der Welt vorspielen, »modern« zu sein, aber ihr Wesen und ihre Mentalität haben sich nicht geändert; sie werden jede Bewegung, die sich gegen sie richtet, ins Visier nehmen und nicht dulden.

Das Büro der Revolutionären Vereinigung der Frauen von Afghanistan (RAWA) befindet sich in Quetta (Pakistan). Können Sie von dort aus sicher arbeiten?

RAWA ist hauptsächlich in Afghanistan präsent und arbeitete während der sowjetischen Besatzung unter den afghanischen Flüchtlingen in Pakistan, einschließlich Peshawar und Quetta in den Jahren 1980-90. Das war zu einer Zeit, als die Dschihad-Fundamentalisten und Hekmatyar noch stark vom pakistanischen Geheimdienst ISI und der CIA unterstützt wurden. Wir arbeiteten hauptsächlich als Untergrundgruppe und sahen uns in Pakistan vielen Drohungen und Einschränkungen ausgesetzt. Unsere Gründungsleiterin Meena wurde 1987 in Quetta ermordet, unsere Proteste wurden angegriffen, unsere Mitglieder wurden verhaftet, die Namen unserer Aktivistinnen standen immer auf der schwarzen Liste der dort ansässigen Dschihadisten und Taliban.

Derzeit setzen wir unsere Untergrundarbeit in Afghanistan fort. Wir sind ernsthaften Bedrohungen und Einschränkungen ausgesetzt, manchmal schlimmer als zuvor. Obwohl es unter den Taliban noch riskanter ist, sind wir entschlossen weiterzumachen. Unser Kampf und unsere Opfer könnten die ersten Samen für eine Massenbewegung gegen Tyrannei, Kolonialismus und radikale Fanatiker von morgen sein.

Was für Projekte verfolgen Sie in Afghanistan und wo sind Sie aktiv?

Neben der politischen Arbeit haben wir unsere humanitären Projekte in Afghanistan, aber aus Sicherheitsgründen können wir die Standorte der Projekte oder die Art unserer humanitären Arbeit nicht bekanntgeben.

Wie beurteilen Sie die Gesamtsituation in Afghanistan für progressive, linke Gruppen. Können diese in Afghanistan arbeiten?

Wenn reaktionäre und Marionettenregierungen in Afghanistan oder einem anderen Land an der Macht sind, ist die Situation für fortschrittliche und linke Gruppen sicherlich nicht ideal. Es ist jedoch die historische Pflicht der revolutionären Kräfte, auch unter den ungünstigsten Bedingungen zu arbeiten und zu kämpfen. Progressive und linke Gruppen werden auf jeden Fall ihre Arbeit in Afghanistan fortsetzen und aus der glorreichen Vergangenheit der Linken lernen.

Man sollte bedenken, dass der Spielraum für linke Gruppen durch die pro-sowjetischen Khalq- und Parcham-Regime besonders eingeengt war. Diese Marionetten haben den Marxismus und das fortschrittliche Denken diffamiert. Eine weitere wichtige Tatsache ist, dass viele bekannte linke Persönlichkeiten, Führer und Aktivisten von pro-sowjetischen Regimen getötet und inhaftiert wurden. Noch mehr aber wurden Opfer von Fundamentalisten, insbesondere Gulbuddin Hekmatyar. In den 1970er bis 1990er Jahren war Peschawar für diese gezielten Tötungen bekannt. Die Dschihadistenführer hatten ihre eigenen Lager, Ausbildungszentren und Gefängnisse, die vom ISI ausgebaut und von der CIA finanziert wurden.

Dies sind nur einige der Gründe, weshalb die Linken schwach sind, aber es gibt noch viele andere. Trotzdem werden sie überleben und weiterarbeiten, wohl wissend, dass ihr Weg voller Schwierigkeiten ist und sehr lang erscheint.

Sie bezeichnen Ihre Organisation als »revolutionär«, was bedeutet das für Sie?

RAWA ist die einzige frauenorientierte revolutionäre Organisation in Afghanistan. Wir kämpfen für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit in einem Land, das in den letzten vier Jahrzehnten ruiniert worden ist.

RAWA wurde 1977 von einer kleinen Zahl von Frauen in einer von Männern dominierten, rückständigen Gesellschaft und während einer großen Krise gegründet – nur ein Jahr vor der sowjetischen Besatzung. Es war die erste dezidiert politische Gruppe, die überzeugt war, dass der Kampf für die Gleichberechtigung und die Rechte von Frauen ein politischer Kampf ist. Es gab einige andere, die glaubten, dass wir mit einigen Änderungen und Reformen die Rechte der Frauen innerhalb des derzeitigen Systems durchsetzen könnten. Wieder andere meinten, dass die Bedingungen für Frauen nichts mit der Unabhängigkeit zu tun hätten. Der kühne Slogan von RAWA lautete jedoch: »Um die Frauen zu befreien, muss zuerst das Heimatland befreit werden«.

RAWA ist fest davon überzeugt, dass nur ein säkulares demokratisches System Gerechtigkeit, Gleichheit und Wohlstand für alle Geschlechter, Ethnien, religiösen Minderheiten usw. garantieren kann. Diese Themen anzusprechen und einen solchen Standpunkt zu vertreten, war für die benachteiligten afghanischen Frauen eine Revolution – ganz zu schweigen von der Gründung einer unabhängigen Frauengruppe.

Wir haben unsere Aufgabe nie nur darin gesehen, gegen die Besatzung oder religiösen Extremismus zu agitieren, sondern auch gegen die sehr negativen Auswirkungen des männlichen Chauvinismus, der Kultur und der Traditionen. Unsere Kämpfe beginnen innerhalb der Familie und gehen darüber hinaus. Wir haben gelernt, dass Bildung das wichtigste Instrument ist: um das Bewusstsein zu schärfen, um Kraft zu geben und um unseren Kampf bis zum Sieg fortzusetzen. Wir haben immer gesagt, dass Bildung in unserer Revolution die einzige und stärkste Waffe ist, die wir haben.

Heute glauben wir immer noch nicht an Reformen innerhalb des Establishments, denn die letzten Machthaber setzten sich aus Dschihadisten, Taliban und US-Marionetten zusammen, die auch als Technokraten bekannt waren. Die neuen werden hauptsächlich aus Taliban und Handlangern des pakistanischen ISI bestehen. Von diesen religiösen und nicht-religiösen reaktionären Kräften können wir keine Reformen und keinen Wandel erwarten.

Wer sind die Frauen, die mit RAWA kämpfen?

Wir haben Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft bei uns: jede ethnische Zugehörigkeit, alle Gegenden, Alphabetinnen und Analphabetinnen, welche, die in Städten, welche, die in Dörfern leben, Arme oder Angehörige der Mittelschicht. Wenn sich jedoch Analphabetinnen unserer Organisation anschließen, versuchen wir unser Bestes, um ihnen neben den politischen Themen auch Lesen und Schreiben beizubringen.

Wo hat die internationale Gemeinschaft, insbesondere der Westen, bei der Unterstützung der afghanischen Frauen versagt? War die Militärintervention im Jahr 2001 ein Fehler?

Nun, die USA/Nato haben Afghanistan unter dem Deckmantel der internationalen Gemeinschaft und humanitärer Missionen besetzt. Damals, im Jahr 2001, während ihrer Luftangriffe und Bombardierungen, gab es viele Proteste von Menschen aus aller Welt. Jetzt, nach 20 Jahren, ist völlig klar, dass der Westen nur hier war, um seine eigenen Ziele zu verfolgen.

Obwohl sie Afghanistan im Namen des »Krieges gegen den Terror« und der »Befreiung der Frauen« angriffen, war von Anfang an zu erkennen, dass sie hier in Afghanistan ihre eigenen schmutzigen geopolitischen Pläne und Interessen durchsetzen wollten. Außerdem kümmerten sie sich nicht um unser Volk, insbesondere nicht um die Frauen, sonst hätten sie nicht das frauenfeindlichste Element an die Macht gebracht: die Nordallianz und die heutigen Taliban.

Die Aufgaben der imperialistischen Länder beruhen auf Krieg und Militarismus. Ja, eine militärische Intervention in einem Land ist immer ein Kriegsverbrechen, auch die US-Besetzung Afghanistans. Wir haben gesehen, dass in diesen 20 Jahren Hunderttausende von afghanischen Zivilisten getötet wurden, und jetzt stehen wir immer noch am Nullpunkt. Leider haben die Mainstream-Medien und die großen Hilfsorganisationen ihr Bestes getan, um die Politik ihrer Regierungen zu beschönigen. Die Nichtregierungsorganisationen waren eine der Hauptursachen für Korruption und Betrug, für die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich und für die hohen Preise für das tägliche Leben in Kabul.
Keines der von den Interventionsmächten unterstützten Wirtschaftsprogramme oder die Pläne und Projekte der internationalen humanitären Missionen brachten tiefgreifende Veränderungen. Die »Verbesserungen«, die sie bewirkten, waren alle brüchig, oberflächlich und vorübergehend. Milliarden von Dollar sind in unser Land geflossen, aber die Afghanen sind heute noch genauso arm wie vor 20 Jahren. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.

Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft? Wie kann sie den Frauen und Mädchen in Afghanistan helfen?

Zunächst denken wir, dass wir von Ausländern – insbesondere von unseren beiden Nachbarn Iran und Pakistan, die eine entscheidende Rolle bei der Förderung des Fundamentalismus gespielt haben – und vom Westen nichts erwarten dürfen: Wir können und sollten keine positiven Erwartungen haben. Aber wenn es um die große Masse der Menschen aller Länder geht, denken wir, dass wir alle ähnliche Schmerzen erleiden.
Wir erwarten und bitten die Weltbürger, das gepeinigte Volk Afghanistans nicht zu vergessen und unserer Not im Ausland eine Stimme zu geben. Wir bitten diese Weltbürger, alle Antikriegskräfte, alle gerechtigkeitsliebenden Kräfte, alle fortschrittlichen Bewegungen, Druck auf ihre Regierungen auszuüben, damit sie sich nicht mehr in Afghanistan einmischen. Sie sollen die Dschihadisten, Taliban und andere reaktionäre Kräfte nicht mehr unterstützen und vor allem die Taliban nicht als afghanische Regierung anerkennen.

Dem afghanischen Volk stehen sehr schwierige Tage bevor, Solidarität und Unterstützung sind in diesen harten Zeiten dringend erforderlich. In den Mainstream-Medien wird behauptet, dass die Taliban die Macht zurückerobert haben, weil das afghanische Volk hinter ihnen steht, aber das ist eine reine Lüge. Die jüngsten schrecklichen Bilder vom Flughafen Kabul, von Menschen, die an den Flugzeugen hängen, beweisen, dass die Menschen nicht unterdrückt von den Taliban leben wollen. Sie ziehen es vor zu sterben, anstatt in einem Inferno in Afghanistan zu leben, das von den Taliban und anderen Fundamentalisten geschaffen wurde, unterstützt von imperialistischen und regionalen reaktionären Staaten. Deshalb erwarten wir von den anderen Nationen, dass sie ihre Stimme erheben.

Wir brauchen diese Solidarität, das ganz konkrete Beispiel der Arbeit von RAWA beweist dies: Ohne diese Art von Verbindungen hätten wir keine internationalen Kontakte, Sympathien, Spenden und Hilfe gewinnen können. Wir sind stolz auf unser Unterstützernetzwerk, das uns in jedem Moment zur Seite stand und das den Stimmen afghanischer Frauen Gehör verschaffte. Und wir hoffen sehr, dass es so weitergeht.

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